International, Service
08.03.2023
Im großen Fair-Wohnen-Interview spricht MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler mit Barabara Steenbergen, Leiterin des EU-Büros des Internationalen Mieterbundes (IUT), über Teuerungswelle, Preisdeckel und mieterfreundliche Szenarien entlang der EU-Richtlinien für die Zukunft.
Georg Niedermühlbichler: Die Inflation treibt in Österreich die Mieten nach oben, weil wir ein an den Verbraucherpreisindex angepasstes System haben. Im Vorjahr sind die Mieten zwischen rund sechs und mehr als 17 Prozent gestiegen, heuer befürchten wir für April die nächste Erhöhung von 8,6 Prozent. Wie sieht die Situation in anderen Ländern Europas aus?
Barbara Steenbergen: Die Inflation ist eines der drängendsten Probleme in Europa. In einigen Ländern steigt die Teuerung bis auf 13, 14 Prozent. Das System der jährlichen Indexierung trifft Mieter derzeit doppelt: neben der steigenden Miete kommen noch die explodierenden Energiepreise hinzu.
In Belgien ist eine Indexierung um 12 Prozent geplant; zusätzlich zu den Energiekosten, die bei einer 75m2-Wohnung von 60 Euro auf mindestens 200 Euro im Monat gestiegen sind. Wir befürchten, dass es zu einer Katastrophe auf dem Wohnungsmarkt kommt. Hilfen gibt es nur für wenige Haushalte, Mindestverdiener. Für Normalverdiener schlagen die Kosten voll durch und diese Menschen sind nun in ihrer Situation gefangen: sie erhalten keine staatlichen Hilfen und sie können ihre Wohnungen nicht wechseln, weil die Alternativen zu teuer sind.
Wir als IUT drängen darauf, dass die Koppelung der Mieten an die Inflation komplett ausgesetzt wird. Auch der deutsche Mieterbund stellt eine solche Forderung – vor dem Hintergrund, dass die Vermieter neue Mietverträge überwiegend mit Indexierungen abgeschlossen haben. In einigen Ländern ist die Indexierung nicht der Standard, weil sich Mieterhöhungen nach einem Mietspiegel-System im Bereich der ortsüblichen Vergleichsmiete bewegen. Dieses System wird mit Indexierungen ausgehebelt. Das bedeutet, dass es kaum noch »normale« Mietverträge gibt und die Erhöhungen die Mieter jetzt mit voller Wucht treffen.
Überspitzt formuliert: Mieter sind vom Willen des Vermieters abhängig, ob er die Mieterhöhung in voller Höhe durchsetzt oder nicht. Das bedeutet für die Mieter aber keinerlei Rechtssicherheit.
Gibt es in Belgien Maßnahmen seitens der Regierung?
Es gibt eine neue Systematik. Die volle Mieterhöhung kann in Belgien nur bei Wohnungen der Energieklasse A bis D durchgesetzt werden. Ab Energieklasse E darf die Mieterhöhung nur noch zu 50 Prozent durchgesetzt werden, in schlechteren Energieklassen gar nicht mehr. Diese Regelung ist jedoch zunächst auf ein Jahr befristet. Den Grundsatz finde ich jedoch interessant. Wenn sich der Vermieter weigert, in das Haus zu investieren und es in schlechtem energetischem
Zustand ist, darf die Mieterhöhung nicht in vollem Umfang durchgesetzt werden. Das folgt dem grundlegenden Gedanken der Energieeffizienzrichtlinie. Das ist ein neuer Ansatz, um die Mieter vor den überbordenden Kosten der zweiten Miete, also Energie- und Betriebskosten, zu schützen. Das Problem in Belgien ist, dass viele Mieter sich nicht trauen werden, dies rechtlich durchzusetzen - aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren.
So etwas funktioniert nur in Verbindung mit einem guten Kündigungsschutz, wie wir ihn in Österreich haben.
In der Schweiz könnten Mieter überhöhte Mieten zurückfordern. Doch die Kollegen dort sagen: Ja, das steht im Gesetz. Aber Mieter trauen sich nicht, das in Anspruch zu nehmen. Den Vermietern, die eine missbräuchliche Mietrendite fordern, droht keine Buße, der Staat kontrolliert nicht.
Heuer im April findet in Lissabon die Weltkonferenz des internationalen Mieterbundes IUT statt, wo europaweite Maßnahmen entwickelt werden sollen. Was wäre aus deiner Sicht am drängendsten? Eine Deckelung der Strom- und Gaspreise?
Du hast gerade die zwei wesentlichen Themen genannt. Es muss Preisdeckel für Wärme und Strom geben. Natürlich wissen wir, dass der Krieg in der Ukraine und Lieferengpässe die Energiekosten explodieren ließen; wir wissen aber auch, dass mittlerweile die Preisentwicklung auf den Energiemärkten wieder nach unten geht. Das muss bei den Verbrauchern ankommen. Dazu muss es klare Ansagen von unseren jeweiligen Regierungen geben - aber auch von der EU-Kommission, die wirksame Gas- und Strompreisdeckel verhandeln muss. Die Energieversorger - die leider in Europa auch in Oligopolen
organisiert sind - müssen in die Pflicht genommen werden, die niedrigeren Preise nicht nur an die Industrie, sondern auch an die Endverbraucher weiterzugeben.
Die Situation für Mieter war noch nie so schlimm wie jetzt. Das ist eine Situation, in der wir ganz klar staatliche Eingriffe brauchen und meines Erachtens kann das auch nur europäisch organisiert werden. Dazu muss die EU-Kommission in Vorlage gehen und die Mitgliedsstaaten müssen mitziehen; da darf es kein Opt-Out geben. Bei den ersten Energietreffen, die es jetzt unter schwedischer Ratspräsidentschaft geben wird, muss es klare Kante geben und von staatlicher Seite entsprechend verhandelt werden. So stark wir als Mieterbewegung in einigen Ländern – wie in Österreich – sind: jetzt brauchen wir die Hand des Staates, das schaffen wir nicht als NGOs. Da müssen andere an den Verhandlungstisch, um das durchzusetzen. Ich denke, dass wir mit den Schweden da einen starken Bündnispartner haben, die auch schon signalisiert haben, dass der Energiemarkt in Europa auch Wohlstand für alle bedeuten muss.
Welche weiteren Themen – neben der Indexierung und den Energiepreisen siehst du in naher Zukunft auf die
Mieter und damit auch auf die Mieterschutzorganisationen in Europa zukommen?
Die Antwort beginne ich mit einer Frage: warum gibt es eigentlich keine regulären Mietverträge mehr? Wieso gibt es nur noch indexierte, befristete Mietverträge? Warum wird seitens der Vermieter immer auf Kurzzeit gespielt?
Wir wissen: jeder Mieterwechsel bedeutet eine neue Mieterhöhung. Wieso können wir nicht zurück zum alten System des unbefristeten Mietvertrages ohne Indexierung oder mit einer gedeckelten Indexierung? Ich weiß, dass es in vielen Ländern eine jährliche Indexierung der Mietverträge gibt. Ich frage jetzt einfach einmal: warum? Das ist ein leistungsloser Zugewinn für die Vermieter. Die investieren ja nicht in Wohnraum. Ich habe Verständnis dafür, wenn jemand investiert und Kosten gehabt hat. Das ist ja auch bei energetischen Sanierungen häufig der Fall. Dann ist es ja auch möglich, dass bestimmte Kosten, rechtlich begrenzt, umgesetzt werden – wenn der Mieter Einsparungen in gleicher Höhe bei der Energie hat. Die Mieterhöhung muss also aufgewogen werden durch die Einsparungen bei der Energie. Diese Warmmieten-Neutralität müsste das Kernstück jeglicher neuer Energiegesetzgebung sein.
Wie könnte das gelingen?
Mit dem »Fit-for-55«-Paket will Europa die Sanierungsrate von einem auf zwei Prozent verdoppeln. In den Gesetzgebungen von 21 europäischen Mitgliedstaaten ist nun aber festgeschrieben, dass energetische Sanierungen auf die Mieter umgelegt werden können. Wir können nicht so schnell das Mietrecht ändern - also müssen wir das Energierecht ändern. Wir müssen jetzt einen europäischen Rechtsrahmen schaffen, damit die Warmmieten- Neutralität die Regel wird und nicht die Ausnahme bleibt. Die europäische Kommission ist in die Gesetzesvorlage gegangen, jetzt berät ganz aktuell das europäische Parlament - das betrifft speziell die Gebäuderichtlinie.
Wir haben das Thema laut und deutlich aufs Tapet gebracht und hoffen, dass die Warmmieten-Neutralität im Gesetzesentwurf erhalten bleibt. Die Verhandlungen im Trilog (mit der schwedischen Ratspräsidentschaft, dem EU Rat, dem europäischen Parlament und der Kommission, Anm.) beginnen ab März. Da müssen wir darauf achten, dass uns unsere Regierungen in diesen Fragen unterstützen; damit Mieter vor dem Herausmodernisieren geschützt werden und Gentrifizierung Einhalt geboten wird.
In Schweden wird von Haus aus über die Warmmieten verhandelt. Wir haben auf der einen Seite die Miete und auf der anderen Seite den Energieversorger, die Betriebskosten, etc. Wenn das beschlossen wird, müssten wir dann auf ein Warmmieten-System umstellen?
Man könnte Lösungen finden. Ein Beispiel: ich habe eine energetische Sanierung. Der Vermieter schickt mir eine Mieterhöhung – aber: diese ist nur wirksam in jener Höhe, in der ich auch tatsächlich Energiekosten einspare. Das kann ich durch meine Heizkostenabrechnung nachvollziehen. Das ist auch in Wohnungen möglich, die Etagenheizungen und Einzelverträge haben. Auch über die Energiezertifikate kann meinen Normalverbrauch errechnen und prüfen, ob ich durch die Sanierung Energie einsparen konnte.
In Deutschland wird versucht, das schwedische Warmmieten-Modell partiell einzuführen. Das wird juristisch und energietechnisch kompliziert, aber es ist ein Anfang gemacht. Ich sehe das schwedische Warmmieten-Modell nicht unbedingt übertragbar, man kann aber an Teillösungen arbeiten. Wichtiger wäre, bei energetischen Sanierungen die Warmmieten zu deckeln.
Weil du die März beginnenden Trilog-Verhandlungen angesprochen hast und die Zeit drängt - hast du das Gefühl, dass es in Europa auch Länder gibt, die mieterfreundliche Lösungen bremsen?
Ja, die gibt es. Generalisiert: in Ländern, wo es keinen wirksamen Mieterschutz gibt und dadurch bedingt die meisten Menschen unfreiwillig – mangels sicherer Mietalternativen – Wohnungseigentum erwerben, ist die Neigung zu einer Regulierung zu kommen nicht so hoch wie in Mieter-Märkten. Da gibt es ein ganz klares Nordwest- Südost-Gefälle in Europa. Wir müssen uns mit den ost- und südeuropäischen Staaten an einen Tisch setzen, um Fortschritte zu erzielen. Die Frage des Mieterschutzes ist in diesen Ländern eher untergeordnet. Die italienische Regierung hat angekündigt, komplett aus der Gebäuderichtlinieauszusteigen. Es gibt einige weitere Länder, die sich diese Ausstiegsszenarien zu eigen machen könnten. Das Programm »Fit for 55« wird nur europaweit umgesetzt werden können. Wenn einige Länder jetzt ein Opt-Out machen, wird es nicht funktionieren.
Wir brauchen Rahmenbedingungen für eine sozial- und klimaverträgliche energetische Sanierung in Europa. Dazu brauchen wir nicht nur den freien Markt, sondern auch eine ausgleichende staatliche Hand. Mit einer ausgewogenen Gebäuderichtlinie auf europäischer Ebene haben die Entscheider es nun in der Hand, eine sowohl sozial- als auch klimafreundliche Vorlage für die nationalen Gebäudesanierungspläne zu liefern. Ohne gesetzlich verankerte soziale Schutzmechanismen für Mieterhaushalte mit kleinen- und mittleren Einkommen wird es keinen gerechten EU Green Deal geben.