Die Geschichte der MVÖ

Die Mietervereinigung 1911 - 2011 und darüber hinaus

Die Geschichte der MVÖ ist auch eine Geschichte des Wohnens und des Wohnrechts

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Die schlechte Wohnungssituation in Österreich - speziell in Wien - hatte um die Jahrhundertwende bereits eine lange Tradition. Die Willkür der Hausherren war mangels entsprechender Gesetze enorm, Kündigungen konnten ohne Angabe von Gründen jederzeit erfolgen und der Mietzins wurde völlig ohne Schranken festgesetzt.

 

Als Reaktion auf diese elende Wohnungssituation wurde am 1. Februar 1911 der "Allgemeine Mieterverein" gegründet, am 15. März 1911 fand die vereinsrechtliche Registrierung statt. Erster Vorsitzender war Dr. Friedrich Frey (Rechtsanwalt). Johann Schlatte, ein Beamter der Betriebskrankenkasse, beantragte die Zulassung des Vereins. Vorstandsmitglieder waren in dieser Zeit unter anderen Adelheid Popp, Dr. Julius Deutsch, Richard Kalman, Max Winter, Jakob Reumann und Leopold Winarsky.


Neben der Organisation von Mieterstreiks und Demonstrationen versuchte der Verein, insbesondere politisch an einer Verbesserung der Wohnsituation zu arbeiten. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam die Vereinstätigkeit zum Erliegen. Die Beamten Schlatte und Schaffranek waren die letzten verbliebenen Vorstandsmitglieder. Als Anton Kolbe nach dem Ersten Weltkrieg dazustieß, übergaben sie ihm die Vereinsstatuten, waren aber nicht dazu zu gewinnen, den Verein neuerlich aufzubauen und wiederzubeleben.

 

Auf Initiative des Trios Anton Kolbe, Robert Hoffmayr und Josef Karpf wurde der Verein nach dem Krieg neu ins Leben gerufen. Zu den Proponenten der neuerlichen Vereinsbelebung gehörte auch J. Seuche. Hauptsitz des Vereins in der Anfangsphase war das Gasthaus Hac, Erdbergstraße 80 im dritten Wiener Gemeindebezirk. Es war sozusagen der "Geburtsort" der Mieterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg.


Am 25. März 1921 wurde der Verein in "Mietervereinigung Österreichs" umbenannt und die Aktivitäten wurden nicht mehr nur auf Wien begrenzt, sondern auf ganz Österreich ausgedehnt. Es kam zu Gründungen von Zweigvereinen in jedem Bundesland.


In Dr. Felix Kössler wurde ein engagierter Rechtsanwalt gefunden, der sich bereit erklärte, ein Jahr lang kostenlos für alle Mitglieder tätig zu sein, um den Aufbau der Organisation zu unterstützen und eine Rechtsvertretung sicherzustellen. Er blieb bis zur Zwangsauflösung der MVÖ im Februar 1934 der wichtigste Rechtsvertreter und stellte seinen Bürositz auch als Vereinsadresse zur Verfügung (Rotenturmstraße 19 in 1010 Wien). Mit dem Beginn der politischen und religiösen Verfolgungen flüchtete er und verstarb, kurz bevor er seinen Entschluss zur Rückkehr ausführen konnte, im August 1947 in London.

 

Im Vorstand der MVÖ fanden sich in den 1920er-Jahren weitere wichtige und bekannte Persönlichkeiten. So war neben Ferdinand Hanusch als Ehrenpräsident und Anton Kolbe als Obmann auch Dr. Robert Danneberg - spiritus rector des Mietengesetzes 1922 - Vorstandsmitglied. Danneberg war ein begnadeter Jurist mit einem umfassenden Verständnis für Strukturen und Systeme. Auf ihn gehen neben dem Mietengesetz auch die demokratische Wiener Stadtverfassung (die im Wesentlichen bis heute gilt), sowie das Dienstrecht für die MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung und der städtischen Betriebe zurück. Er wirkte federführend bei der Planung der Wiener Wohnbauprogramme 1923 und 1927 mit. Als Gemeinderatsmitglied, Präsident des Wiener Landtags und Nationalratsabgeordneter hinterließ er bis heute bleibende Spuren seines Wirkens. Wie so viele kluge Köpfe wurde er im Dezember 1942 in Auschwitz ermordet.


In der Folge wuchs die Zahl der Mitglieder rasch auf 77.000. Von der Mietervereinigung organisierte Massenproteste der MieterInnen fanden Anfang der 20er Jahre vor allem in Wien statt und fruchteten 1922 schließlich in der Beschlussfassung des Mietengesetzes.

 

Erstmals wurde der Kündigungsschutz eingeführt und Mietervertreter erhielten das Recht der Einsichtnahme in Abrechnungen der Hausherren. Die Miethöhe wurde fixiert und belastete in den späten 20er-, frühen 30er-Jahren aufgrund der Inflation das Haushaltskommen mit nur ca 3% - eine Größe, die heute unvorstellbar geworden ist.

"Der Mieter", die damalige Vereinszeitung, berichtete im Jänner 1923:  "Das neue Mietengesetz verbürgt für alle Zeiten die Rechte der Mieter und ist wohl das beste Mietengesetz in Europa".

 

Im Jahr 1931 war die Zahl der Mitglieder auf stolze 256.244 angewachsen. Die Stärke der Mietervereinigung brachte die Regierung durch die große Anhängerschar in Bedrängnis. Doch die Schlinge, die sich unaufhaltsam um die Arbeiterpartei zog, wurde auch für die Mietervereinigung immer enger. Am 14. Februar 1934 war es so weit, die Bundespolizeidirektion Wien hielt fest: "Im Auftrag des Bundeskanzleramtes ist die Tätigkeit der sozialdemokratischen Mietervereinigung sofort einzustellen und das Vermögen des Vereines zu beschlagnahmen. ... Unter Hinweis auf vorstehenden Aktenvermerk wird um sofortige Veranlassung der Einstellung der Tätigkeit ... sowohl des Hauptvereines mit dem Titel Mietervereinigung Österreichs als auch aller ihr nachstehenden Zweigorganisationen ersucht." Das beschlagnahmte Vermögen wurde in der Folge dem vaterländischen Mieterbund übertragen.

 

Am 8. Juli 1945 fand eine, wieder von Anton Kolbe initierte, erste Versammlung zur Neugründung der MVÖ statt. Am 11. September 1945 wurde der Mietervereinigung die Wiederaufnahme ihrer Vereinstätigkeit genehmigt und rasch wurde begonnen, die alten Strukturen des Vereins wieder zu beleben.

 

Nachdem der Bestand der Organisation gesichert war, zog sich Anton Kolbe von seiner Führungsposition zurück und übergab am 17. November 1947 den Vorsitz an den Steirer Rudolf Marchner, der bis 1970 Verbandsobmann war. Josef Moser, später auch Bautenminister, folgte ihm in dieser Position nach und übte diese Funktion bis zum 11. Mai 1985 aus. Neuer Verbandsobmann wurde dann Dr. Heinrich Keller, der 1989 von dem Steirer Alois Reicht abgelöst wurde. Im Jahre 1997 wurde erstmals eine Frau, Doris Bures, Verbandsobfrau bzw Präsidentin der Mietervereinigung Österreichs. Im April 2008 übergab sie die Funktion an Georg Niedermühlbichler, der sie bis heute ausübt.

 

Die ständige Verbesserung der Wohnungssituation in Österreich ist eng mit der Arbeit der Mietervereinigung verknüpft. Das Hauptziel, nämlich "eine allgemeine Besserung der Wohnverhältnisse herbeizuführen, sowie die berechtigten Interessen der Mieter, Wohnungseigentümer und aller anderen Nutzungsberechtigten an Wohnungen, Geschäftslokalen und sonstigen Objekten im Allgemeinen sowie jener ihrer Mitglieder besonders zu wahren und zu fördern", blieb in den Vereinsstatuten seit 1911 nahezu unverändert. Der europaweit einzigartige Mieterschutz in Österreich basiert seit dem Mietengesetz auf den zwei Säulen "Kündigungsschutz" und "Preisschutz".


Im Jahr 1982 wurde das Mietengesetz durch das Mietrechtsgesetz abgelöst. Damals wurden die Ausstattungskategorien und die Kategoriemieten eingeführt. Eine Vielzahl von Novellen folgten, die den Preisschutz aufweichten, wodurch es Anfang/Mitte der 90er Jahre insbesondere in der Bundeshauptstadt zu enormen Preissteigerungen kam. Um diese in den Griff zu bekommen, wurde mit dem 3. Wohnrechtsänderungsgesetz 1994 der sogenannte "Richtwert" eingeführt. Er löste die Kategoriemieten ab und ist je nach Bundesland unterschiedlich hoch. Da neben dieser Grundmiete auch ein Lagezuschlag sowie Zuschläge für die Wohnung selbst erlaubt wurden, misslingt die Intention, die Mieten wieder in den Griff zu bekommen, zu intransparent ist seither die Mietzinsbildung.

 

Heute muss man feststellen, dass zwischen dem Richtwertmietzins und der Marktmiete regional oft kein Unterschied mehr besteht. Dort, wo man jedoch erfolgreich eine Mietzinsherabsetzung bewirken könnte, weil die Miete unzulässig hoch ist, verhindert die Freigabe der Befristungsmöglichkeiten aus dem Jahr 2000, dass MieterInnen von diesem Recht Gebrauch machen. Denn seit der Mietrechtsnovelle 2000 sind Kettenmietverträge erlaubt und weit verbreitet. Sie höhlen damit den Kündigungsschutz stark aus. Als Folge der dadurch entstehenden Wohnunsicherheit werden auch alle anderen Mieterschutzbestimmungen und Kontrollrechte letztlich nicht in Anspruch genommen.


In den Jahren 2002 und 2006 folgten weitere Novellen, die den Anwendungsbereich und Schutzzweck des Mietrechtsgesetzes erneut einschränkten. So unterliegen seither Dachgeschoßausbauten, Aufstockungen, aber auch Zubauten unter bestimmten Voraussetzungen nur mehr dem eingeschränkten Anwendungsbereich des Gesetzes (Kündigungsschutz). Damit gibt es keine Beschränkungen bei der Mietzinsbildung oder gesetzlich zwingende Vorschriften für Betriebskostenabrechnungen. Ablösezahlungen sind damit auch nicht mehr verboten. Außerdem wurde 2006 eine Rügepflicht für Mieter eingeführt: Wenn eine unbrauchbare Wohnung übergeben wurde oder das Bad keinen zeitgemäßen Standard aufweist, trifft den Mieter die Pflicht, diese Mängel zu rügen. Vermieter müssen daher nicht einmal mehr brauchbare Wohnungen übergeben, ohne eine Mietzinsherabsetzung zu riskieren.


Eine kleine Trendwende wurde vermutet, als zahlreiche Urteile des OGH seit 2007 zum Konsumentenschutzgesetz im Zusammenhang mit Mietverträgen eine Vielzahl von Vertragsklauseln als unwirksam aufhoben. Parallel dazu haben unterschiedliche Senate im OGH aber nun die skurille Situation herbeigeführt, dass MieterInnen, deren Verträge nur dem eingeschränkten Anwendungsbereich des MRG unterliegen, hinsichtlich der Erhaltungspflichten des Vermieters zum Teil besser gestellt sind, als jene MieterInnen, deren Wohnungen zur Gänze dem Mietrechtsgesetz unterliegen.


Da das MRG ein Rechtsrahmen für alle MieterInnen sein sollte, ist dies eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Die MVÖ arbeitet daher insbesondere daran, eine Vereinheitlichung der Rechte und Pflichten von allen Mieterinnen zu erreichen.


Die Bedeutung der Arbeit der Mietervereinigung ist somit trotz ihres mehr als 100jährigen Bestehens unverändert. Gerade heute gilt es, MieterInnen über ihre rechtliche Situation aufzuklären und öffentlichen Druck für Verbesserungen im Wohnrecht zu erzeugen.


Ziel ist es, ein Grundrecht auf leistbares und sicheres Wohnen zu gewährleisten und den rechtlichen Rahmen dafür im Mietrechtgesetz zu garantieren.

Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, Tel.: 050195, Fax: 050195-92000, zentrale@mietervereinigung.at, ZVR - Zahl 563290909
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