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Österreich, Rechtsprechung, Wien 23.07.2021

Rechtskrimi um Klimaanlage

  • Temperatur; Foto: istockphoto.com

Die Frage, ob eine hitzegeplagte Familie in Wien-Donaustadt auf eigene Kosten gegen den Willen des Vermieters eine Klimaanlage einbauen darf, ist nun ein Fall für die Höchstrichter. Die Mietervereinigung vertrat die Mieter im Verfahren vor der Schlichtungsstelle, dem Bezirks- und Landesgericht und nun auch vor dem Obersten Gerichtshof.

 

Seit 2012 wohnt Familie Anzbacher (Name geändert) in einer Mietwohnung eines Niedrigenergiehauses in Wien-Donaustadt. Die Wohnung liegt im obersten Stockwerk unmittelbar unterhalb eines Flachdaches. Nach einer Serie von heißen Sommern – die Jahre 2015 und 2017 schafften es unter die fünf heißesten Sommer seit Beginn der Messungen 1767 – fasste die Familie den Entschluss, auf eigene Kosten eine Klimaanlage installieren zu lassen.

Die sogenannte Split-Anlage sollte aus vier Inneneinheiten und einer Außeneinheit bestehen. Nachdem es sich beim Einbau einer solchen Anlage um eine wesentliche Veränderung des Mietgegenstandes handelt, müssen die beabsichtigten Arbeiten dem Vermieter angezeigt werden. Die Mieter ließen sich von einem sachkundigen und konzessionierten Gewerbebetrieb beraten und suchten im Mai 2018 schriftlich um die Genehmigung des Vermieters an. Sie legten Planskizzen bei und erläuterten, dass die Verbindung der Innengeräte mit dem am Flachdach zu positionierenden Außengerät innerhalb eines vorhandenen Leitungsschachtes verlegt würde und es dadurch zu keiner Beeinträchtigung der Außenhaut des Gebäudes komme. Trotzdem lehnte der Vermieter das Vorhaben ab.

Familie Anzbacher wandte sich an die Mietervereinigung. MVÖ-Jurist Martin Brunnhauser informierte die Mieter, dass es in der Praxis in Ausnahmefällen möglich ist, die Zustimmung des Vermieters zu ersetzen – dazu müssen allerdings folgende Voraussetzungen vorliegen: Die geplante Veränderung muss dem Stand der Technik entsprechen, einwandfrei ausgeführt sein und auf Kosten des Hauptmieters durchgeführt werden. Nachdem diese Punkte im Wesentlichen unstrittig waren, ging es nun darum, ob die Installation einer Klimaanlage im konkreten Fall auch verkehrsüblich ist.


Brunnhauser brachte für die Mieter im Juli 2018 einen Antrag bei der Schlichtungsstelle ein, um eine Zustimmung zu erwirken. Brunnhauser führte im Antrag aus, dass es immer mehr dem Wohnstandard entspreche, Klimageräte zu errichten und sich auch in der näheren Umgebung bereits mehrere solche Geräte befinden.

Der Sommer 2018 in Wien ging als viertwärmster in die Messgeschichte ein. Es gab 42 Hitzetage (mindestens 30 °C), am 9. August wurden in der Innenstadt gar 36,3 °C gemessen. Der Sommer 2019 legte noch einmal ein Schippchen drauf und reihte sich knapp hinter 2003 als zweitwärmster Sommer seit 250 Jahren ein.

Im September langte die Entscheidung der Schlichtungsstelle ein – sie fiel zugunsten der Mieter aus: der Vermieter sei nicht berechtigt, seine Zustimmung zur Errichtung der Klimaanlage zu verweigern. Das Außengerät sei am geplanten Aufstellungsort von der Straße aus nicht sichtbar, wodurch weder Stadtbild noch äußere Erscheinung des Hauses beeinträchtigt werden, führte die Schlichtungsstelle aus. Außerdem befinde sich auf demselben Flachdach bereits ein Klimagerät, das zur Kühlung eines Supermarktes im Erdgeschoß des Hauses diene. Fazit: Die Verkehrsüblichkeit liege vor, die Mieter dürften die Klimaanlage auf eigene Kosten errichten. Die Schlichtungsstelle ersetzte mit ihrer Entscheidung die fehlende Zustimmung des Vermieters.

Der Vermieter zog das Verfahren in der Folge zu Gericht ab – nun musste das Bezirksgericht entscheiden. Im April 2020 lag der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vor: das Ansuchen der Mieter sei im konkreten Fall nicht verkehrsüblich und daher abzuweisen. Der Richter begründete dies u.a. damit, dass gewerblich genutzte Klimageräte (Supermarkt, Tankstelle, Industriebetrieb) in der näheren Umgebung bei der Betrachtung der Verkehrsüblichkeit für den privaten Bereich nicht zu berücksichtigen seien.

MVÖ-Jurist Brunnhauser brachte nach Absprache mit Familie Anzbacher gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel ein (sog. »Rekurs«, über den das instanzenmäßig übergeordnete Gericht entscheidet – in diesem Fall das Landesgericht für ZRS Wien).
Die Entscheidung des Landesgerichts im Februar 2021 gab den Mietern recht: Trotz Sonnensegel am Balkon, Außenjalousien vor den Fenstern und Querlüftens lasse sich eine sommerliche Überwärmung der Wohnung nicht mehr vermeiden und die Raumtemperatur könne während der Nacht nicht unter 29 °C gesenkt werden. Davon ausgehend sei die geplante Veränderung als verkehrsüblich anzusehen, führte der Rekurssenat aus. Dass die Anzahl der Klimaaußengeräte am Standort zu gering sei, um auf eine Verkehrsüblichkeit schließen zu lassen, komme nur eine Indizwirkung zu. »Dass Wohnungen in Gebäuden, die noch bis in jüngster Zeit ohne technische Ausstattungen zur Klimatisierung errichtet wurden, mittlerweile aufgrund der in den letzten Jahren eingetretenen und noch zu erwartenden Klimaentwicklungen (»Erderwärmung«) nachgerüstet werden müssen und werden, um zu Wohnzwecken geeignete Räumlichkeiten zu erhalten, ist aber als notorisch anzusehen und ergibt sich mittlerweile aus der allgemeinen Lebenserfahrung«, heißt es in der Entscheidung. Dem Bezirksgericht wurde folglich eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts brachten die Anwälte des Vermieters ein weiteres Rechtsmittel ein (sog. »Revisionsrekurs). Nun ist der Oberste Gerichtshof (OGH) gefragt. Die Entscheidung des OGH stand zu Redaktionsschluss noch aus.

 

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