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Wien 26.03.2025

»Suburbia« im AZW: Eine(r) wie alle und alle für sich

  • Interview zur Ausstellung Suburbia im AZW (c) istockphoto.com/trekandshoot

Das Architekturzentrum Wien geht in einer Ausstellung einer Frage im wahrsten Sinn des Wortes auf den Grund: woher kommt die Lust am Einfamilienhaus im Speckgürtel? Die Antwort ist überraschend. Fair Wohnen hat vorab mit den Kuratorinnen gesprochen.

 

Jeden Tag verliert Österreich rund 12 Hektar (1 Hektar entspricht 10.000 Quadratmetern bzw. einem sehr großen Fußballfeld) an natürlichem Boden. Jede Stunde werden fast zwei neue Einfamilienhäuser auf eine „grüne Wiese“ gesetzt, vor Corona waren es im Schnitt 47 pro Tag (!).

 

Lebensgrundlage Boden

Forscher der Universität für Bodenkultur haben ermittelt, wie der Flächenfraß über die Zeit voranschreitet: 1975 betrug die stark zersiedelte Fläche rund 110.000 Hektar. Im Jahr 2020 sind es bereits 580.000 Hektar. Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich sind die am stärksten zersiedelten Bundesländer. Drei von vier Wohngebäuden sind Einfamilienhäuser, insgesamt stehen heute in Österreich mehr als 1,5 Millionen Einfamilienhäuser mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 135 Quadratmetern herum. Es hat sich herumgesprochen, dass diese Art des Wohnens nicht nachhaltig ist, weil es jede Menge Energie verschwendet: es basiert auf dem Auto als Verkehrsmittel, auf großen freistehenden Häusern, die beheizt oder gekühlt werden müssen. In den kleinen Gärten müssen Pools und Rasenflächen bewässert werden, oft bekommt sogar das Auto ein eigenes Häuschen.

 

Ausstellung »Suburbia« im Architekturzentrum Wien

Trotzdem ist das Einfamilienhaus Umfragen zufolge für 62 Prozent der österreichischen Bevölkerung die beliebteste Wohnform, für manche gar ein Lebensideal und für nicht so wenige gar ein Fetisch. Warum ist das so? Das Architekturzentrum Wien (azW) geht dieser Frage in einer Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund: woher kommt die Lust am Einfamilienhaus im Speckgürtel? »Suburbia« heißt die Schau des azW, und Fair Wohnen hat die Kuratorinnen Lene Benz und Katharina Ritter vorab zum Gespräch gebeten.

 

Der importierte Traum

Die Kulturgeschichte des Einfamilienhauses begann in den gehobenen Wohnvierteln Amerikas zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Typologie massiv entwickelt und in die Breite ausgerollt. Unser »Traum vom Wohnen« ist also keineswegs so alt, so tief verwurzelt und so »natürlich«, wie man uns oft glauben machen will - und er ist im Kern ein amerikanischer Traum, der nach Europa exportiert wurde. Dahinter standen handfeste Interessen: wirtschaftliche, aber auch politische und ideologische. Jeder Zaun, den ein Häuslbauer rund um sein Grundstück zog war gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber kommunistischem Gedankengut. Die Abschottung der Kernfamilie und der Rückzug ins Private war der Gegenentwurf zu dem kommunalen Leben in der Großstadt mit seinen sozialen Reformen. »Es ging darum, den Kapitalismus durchzusetzen«, erklärt Ritter. Die Anschaffung eines Hauses bedinge den Kauf vieler Güter und kurble den Konsum an.

 

Wie konnte der fremde Traum zum eigenen werden? »Es gab eine sehr einheitliche Erzählung des Ideals und kaum Gegenerzählungen «, sagt Benz. Ein Versprechen des Einfamilienhauses sei die »vermeintliche Sicherheit, die Tür zum eigenen Refugium abschließen zu können und sicher zu sein«. Ein anderes Versprechen sei das der Freiheit, ergänzt Ritter - »nicht fremdbestimmt zu sein in der Frage, wie ich wohne, wie mein Zuhause aussieht«.

 

Nicht fremdbestimmt gilt nicht für alle: Für Frauen erwies sich das Dasein in der Vorstadt, im Speckgürtel als überwiegend nachteilig. Viele Frauen seien während der Kriegsjahre in Berufen gestanden, durch die folgende Suburbanisierung seien sie marginalisiert und in die Rolle als Hausfrauen gedrängt worden, wie Benz erklärt. Heute sind vor allem junge Frauen ein Abwanderungsmotor, wenn es an Ausbildung, Arbeit, Kinderbetreuung vor Ort mangelt Kulturphänomen Speckgürtel Während das Phänomen des Speckgürtels hierzulande in Kunst und Kultur kaum eine Rolle spielt, kommen aus den USA sehr viele kulturelle Referenzen zur Vorstadt – von TVSitcoms und Filmen über Fotografie und Literatur bis hin zur Malerei, man denke nur an David Hockneys ikonisches Gemälde »A Bigger Splash« aus den späten 1960er-Jahren. Die Ausstellung im azW gibt dem kulturellen Aspekt breiten Raum.

 

Freiraum als Illusion

Utopie und Dystopie stehen im Speckgürtel näher beieinander wie die Thujen einer Hecke. Halten wir kurz beim Thema Freiraum. Die Idylle des Dorfes, im öffentlichen Raum echte nachbarschaftliche Begegnungen zu ermöglichen, weicht in den Speckgürtelsiedlungen der Notwendigkeit der Verkehrsfläche. »Wenn man dort an einer Kreuzung steht, fahren nur Autos vorbei«, sagt Benz. Fußgänger seien eine Rarität. Die Idee der Selbstversorgung durch angebautes Gemüse und Kleintierhaltung habe buchstäblich keinen Platz mehr, da die Parzellen hierzulande immer kleiner wurden, weiß Ritter. Der Außenraum sei als »Restfläche« rund ums Haus angelegt.

 

Ein großer Unterschied zwischen den USA und Österreich bestehe in der Mobilität der Menschen beim Wohnen, erklärt die Kuratorin. In den USA kaufe man ein Haus als Konsumobjekt, wechsle mit dem Arbeitsort oft auch den Wohnort. »Wenn die Kinder ausgezogen sind, zieht man eventuell in ein kleineres Haus. Das findet in Österreich nicht statt.« Die Flexibilität beim Wohnen sei hierzulande gering. Österreich sei mit 1,5 Millionen Einfamilienhäusern fertig gebaut, sagt die Expertin. Trotzdem könnten weiterhin alle, die es sich wünschen, im Einfamilienhaus wohnen. »Es gibt genug Häuser, sie müssen nur umgenutzt werden. Viele Häuser in den 1950er- bis 1970er-Jahren wurden für Familien, für die Kinder gebaut. Heute wohnt oft nur noch eine Person darin, die sich nicht mehr um Haus und Garten kümmern kann.«

 

Für die Zukunft ist ein Weiter wie bisher kein tragfähiges Konzept, daran lassen die Expertinnen im Gespräch mit Fair Wohnen keinen Zweifel - es braucht ein Umdenken, eine Transformation. Das kann die Politik, selbst wenn sie wollte, nicht alleine richten. Wir alle sind gefragt. Zu Beginn sollten wir uns die Frage stellen, ob unsere Träume wirklich die eigenen sind.

 

Infos zur Ausstellung: 

»Suburbia« ist ab 6. März im Architekturzentrum Wien, Ausstellungshalle 2, zu sehen. Die Schau zeichnet die Geschichte eines Lebensideals nach, das, ausgehend von den USamerikanischen Vorstädten, die Welt eroberte. Gleichzeitig werden die Widersprüche dieses Modells und seiner sozialen und ökologischen Folgen wie Flächenverbrauch, Versiegelung und Leerstand analysiert. Die Frage ist: Wie geht es weiter?
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