Österreich, Rechtsprechung, Wien 08.01.2018
Der Oberste Gerichtshof klärte eine Grundsatzfrage zur Berechnung des (Richtwert-)Mietzinses: Künftig wird der Lagezuschlag anders zu ermitteln sein als bisher. Die Mietervereinigung begrüßt die OGH-Entscheidung und sieht damit das Ende der inflationär zunehmenden „überdurchschnittlichen Lagen“ gekommen.
Der sogenannte Lagezuschlag ist einer der Hauptpreistreiber im System der Richtwertmieten. Bisher wurde von Sachverständigen und der Schlichtungsstelle zur Beurteilung, ob ein Lagezuschlag für eine Wohnung in Wien zulässig ist, vor allem die Lagezuschlagskarte der Magistratsabteilung 25 (MA 25) herangezogen. Diese Karte unterteilt das Wiener Gemeindegebiet in die sogenannten „Gründerzeitviertel“ und sechs Preisklassen, die als „Lagezuschlagszonen“ bezeichnet werden. Dabei ist ersichtlich, dass es nur ‚durchschnittliche‘ (Gründerzeitviertel) oder ‚überdurchschnittliche‘ Lagen gibt. Die ausgewiesenen Werte werden dabei alleine aus den geschätzten Grundkosten abgeleitet.
Nun hat der Oberste Gerichtshof (OGH) dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben. In der Entscheidung 5 Ob74/17v stellte der OGH nunmehr klar, dass der Grundkostenanteil zur Frage, ob eine Lage als überdurchschnittlich zu bewerten ist, nichts aussagt. Stattdessen ist entsprechend der gesetzlichen Regelung auf die „allgemeine Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ abzustellen. „Zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als ‚besser als durchschnittlich‘ zu qualifizieren ist, bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen)“, so der OGH. „Dabei hat der Vermieter den Nachweis zu erbringen, dass es konkrete Anhaltspunkte (Wohnumgebungsfaktoren) gibt, die die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage erlauben.“ Die bloße Erreichbarkeit von Bus, U-Bahn und Supermärkten in weniger als 5 Minuten Gehweg sei in Wien jedenfalls kein Kennzeichen einer überdurchschnittlichen Lage.
„Diese Judikatur macht deutlich, dass die Lagezuschlagskarte der MA 25 ausschließlich die Grundkostenteile abbildet und somit noch nichts darüber aussagt, ob eine Lage als überdurchschnittlich oder nicht einzustufen ist. Auch unterdurchschnittliche Lagen sind möglich“, sagt Elke Hanel-Torsch, Wiener Landesvorsitzende der Mietervereinigung.
In Hinkunft werden daher für die Ermittlung des Lagezuschlages auch qualitative Wohnaspekte wie insbesondere die Verkehrsanbindung und Infrastruktur (z.B. Einkaufsmöglichkeiten, Erholungsräume, kulturelle Einrichtungen) zu berücksichtigen sein.
„Erst wenn eine Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens als „überdurchschnittlich“ zu qualifizieren ist, ergibt sich aus der Grundkostenhöhe lediglich der Höchstbetrag, bis zu dem ein Lagezuschlag zulässig ist“, sagt Alexandra Rezaei, Bundesgeschäftsführerin der Mietervereinigung.
„Wir kritisieren die Auslegung des Gesetzes schon seit Jahren. Für uns ist es unverständlich, warum es in Wien nur durchschnittliche und überdurchschnittliche Lagen geben soll. Die gängige Praxis hat dazu geführt, dass 70-80 Prozent des bewohnten Stadtgebietes regelmäßig als überdurchschnittlich und der Rest als durchschnittlich bewertet wurden, während keine einzige Lage als unterdurchschnittlich angesehen wird. Dies ist sachlich nicht zu rechtfertigen und mit dem Ziel der gesetzlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren“, so Rezaei.
Hintergrund: Das sagt der OGH
„Die in § 16 Abs 4 MRG für die Berücksichtigung eines Lagezuschlags geforderte „Überdurchschnittlichkeit“ einer Lage (Wohnumgebung) kann nicht schon allein aus einem gegenüber der mietrechtlichen Normwohnung höheren Grundkostenanteil der konkret zu bewertenden Lage abgeleitet werden. Es bedarf vielmehr einer Prüfung, ob im konkreten Einzelfall die Lage (Wohnumgebung) der Liegenschaft, auf der sich eine Wohnung befindet, nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens besser als die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) ist. Diese Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ wird von verschiedenen Faktoren, wie etwa die Standorteigenschaften - nämlich Erschließung der Wohnumgebung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nahversorgungsmöglichkeiten - beeinflusst sein. Dabei hat der Vermieter den Nachweis zu erbringen, dass es konkrete Anhaltspunkte (Wohnumgebungsfaktoren) gibt, die die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage erlauben. Zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). Das Gebot der Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ macht es notwendig (und erlaubt) sich bei dieser Beurteilung von einem gleichsam mathematischen Verständnis des Wortes „durchschnittlich“, als dem Mittelwert aus einer gegebenen Grundgesamtheit (annähernd) entsprechend, zu lösen. Es bestimmt sich (auch) der geographische Bereich, der die zur Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit miteinander zu vergleichenden Lagen (Wohnumgebungen) umfasst, nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Entscheidend ist, welcher Bereich nach der Beurteilung des Wohnungsmarktes ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet darstellt. Dieses Abgrenzungskriterium muss nicht mit politischen Grenzziehungen übereinstimmen und lässt daher einen gewissen Spielraum bei der Ermittlung der konkreten Lösung. In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern es ist auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet darstellen. Daher sind bei einem im 5. Bezirk gelegenen Haus die innerstädtischen Gebiete mit der dafür typischen geschlossenen und mehrgeschossigen Verbauung maßgeblich. Im Vergleich zu diesen relevanten Lagen Wiens rechtfertigen die Umstände, dass öffentliche Verkehrsmittel, nämlich Bus und U-Bahn, sowie auch sämtliche Geschäfte zur Deckung des täglichen Gebrauchs in weniger als 5 Minuten Gehweg erreichbar sind die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage iSd § 16 Abs 4 MRG nicht.“