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Österreich 31.03.2019

Mieten: Fakten statt Mythen

  • Lukas Tockner, Foto: AK  Wien / Erwin Schuh

Lukas Tockner, Referent für Wohnpolitik in der Arbeiterkammer Wien, erklärt im Interview mit Fair Wohnen, warum die Mieten so stark steigen und räumt mit einigen Mythen rund um das Thema auf.

 

Fair Wohnen: Die Mieten steigen seit Jahrzehnten stärker als die Löhne und die allgemeine Teuerung. Was sind die Gründe dafür?
Lukas Tockner: Es gibt zwei wesentliche Gründe. Ein Preistreiber ist das Bevölkerungswachstum in Wien. Dadurch wird es am Wohnungsmarkt enger. Den jüngsten Bevölkerungsprognosen zufolge wird die Stadt weiter wachsen - wenn auch abgeschwächt. Was seit der Finanzkrise 2008 die Wohnungskrise verschärft, ist die Nachfrage nach Veranlagung. Das wirkt sich stark auf die Preise für Eigentum und Grundstücke aus, aber auch auf die Mieten.

Sowohl Ihre Studien als auch unsere Auswertungen zeigen, dass die Betriebskosten etwa im Ausmaß der Inflation steigen. Die Ursache für die Steigerung der Mieten müsste folgerichtig der Nettohauptmietzins sein.
Ja. Die Daten der Statistik Austria zeigen, dass es langfristig die Hauptmietzinse sind, die zu den teureren Mieten führen. Euer Betriebskostenspiegel zeigt für die privaten Altbauwohnungen, was der größere Mikrozensus für den ganzen Wohnungsmarkt zeigt: dass die Betriebskosten sich im Wesentlichen mit der Inflation entwickeln.

Was kann man gegen die Steigerung der Mietpreise unternehmen?
Ein Rezept ist mehr geförderter Wohnbau. Wenn die Bevölkerung wächst, dann ist es erforderlich direkt die Anzahl der bezahlbaren Wohnungen zu erhöhen. Mittelfristig bin ich da verhalten optimistisch. Einerseits gibt es die neue Widmungskategorie für geförderten Wohnbau und der Wohnfonds Wien stellt im Rahmen der Wohnbauoffensive seit 2016 verstärkt Liegenschaften aus seinem Bestand zur Verfügung. Andererseits wurden die Bevölkerungswachstumsprognosen merklich zurückgenommen. Nicht so optimistisch bin ich dagegen bei den Wohnungen im Bestand, die im privaten Bereich nicht bezahlbar sind. Hier gäbe es beim Mietrecht Hebel, um anzusetzen. Die Forderungen der AK dazu sind bekannt und decken sich ja auch in vielen Bereichen mit den Forderungen der Mietervereinigung.

Vermieter behaupten gerne, dass durch die Preisregelungen des Mietrechtsgesetzes das Vermieten im Altbau kaum rentabel wäre. Führen diese Regelungen aus Ihrer Sicht tatsächlich dazu, dass sich das Vermieten dort nicht mehr rechnet?
Dass sich die Vermietung nicht rentierte, ist eine Behauptung, keine Tatsache. In einer Stadt ändern sich, auch wenn die Bevölkerung nicht wächst, die Haushalte. Das erfordert Umzüge und einen gewissen Leerstand. Als gesunde Mobilitätsreserve gelten 3 Prozent. Die Datenlage ist dürftig, aber ich meine, dass wir in Wien derzeit unter diesen 3 Prozent liegen. Nun ist die Frage: lässt man eine Wohnung wegen der Preisregelungen im Mietrechtsgesetz leer stehen? Wenn ich eine Altbauwohnung unbefristet zum Richtwert vermiete, kann ich rund 6 Euro (netto pro Quadratmeter Wohnnutzfläche, Anm.) verlangen. Es ist wohl besser, diese 6 Euro – mit Lagezuschlag auch deutlich mehr - zu nehmen, als die Wohnung leer stehen zu lassen und für die anteiligen Betriebskosten in der Höhe von 2 Euro selbst aufzukommen. So betrachtet, sehe ich kein wirtschaftliches Motiv, nicht zu vermieten.

Eine weitere gern bemühte Behauptung ist, dass ein freier Wohnungsmarkt die Preise sinken ließe. Gibt es für dafür einen empirischen Nachweis? Hat das irgendwo funktioniert?
Auch diese Behauptung ist aus meiner Sicht haltlos. Bei Neubauten gibt es in Österreich einen freien Markt ohne Preisgrenzen – dort kann man zu Preisen verkaufen oder vermieten, die der Markt hergibt. Diese Preise steigen seit Jahren massiv. Trotzdem haben wir immer noch zu wenig Wohnungen. 2016 und 2017 sind die Baubewilligungen auch im freifinanzierten Wohnbau stark gestiegen. Dabei kommen aber meist nicht leistbare, mittelgroße Mietwohnungen, sondern kleine und teure Eigentumswohnungen heraus. Der Blick über den Tellerrand hilft ein Stück weiter: Berlin ist vom Bevölkerungszuzug her in einer ähnlichen Situation wie Wien. Vor der Mietpreisbremse gab es für lange Zeit die freie Vermietung. Zudem existiert für den Bestand ein Vergleichsmietensystem, womit Vermieter in einem enger werdenden Wohnungsmarkt sogar bei aufrechten Verträgen den Hauptmietzins real (also stärker als die Inflation) erhöhen können. Es wurde trotzdem viel zu wenig gebaut. Der freie Markt, ohne politische Steuerung, allein als dezentrale Aktivität von gewinnorientierten Unternehmen, funktioniert am Wohnungsmarkt überhaupt nicht.

Zum Thema Befristungen: Zwei von drei neuen privaten Mietverträgen sind befristet. Wohin entwickelt sich das in Zukunft? Werden von den Befristungen künftig auch Ältere stärker betroffen sein? Müssen Oma und Opa bald alle 3 Jahre umziehen?
Der Befristungsanteil bei neu vermieteten Verträgen wird immer höher. Das hat auch mit rollierenden Verträgen zu tun. Wir haben im Herbst letzten Jahres eine Umfrage gemacht, an der sich 3.300 Haushalte beteiligt haben. Eine Frage war: Wollten Sie einen befristeten Vertrag? 87 Prozent haben geantwortet: »Nein, aber ich habe nichts Anderes gefunden.« Wenn sich die rollierenden Befristungen fortsetzen, stehen wir in 20-30 Jahren möglicherweise vor der Situation, dass ein Vermieter den befristeten Vertrag nicht mehr verlängert, weil der Mieter in Pension geht und weniger Einkommen zur Verfügung hat. Das wäre ein Horrorszenario, das bei gegebenem Status quo nicht ausgeschlossen werden kann. Die Arbeiterkammer fordert seit geraumer Zeit, dass Befristungsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden sollen. Wenn jemand eine Wohnung vermietet, die er beispielsweise geerbt hat, dann ist eine Befristung für den Fall des Eigenbedarfs einsichtig. Bei großen Immobilienkonzernen sehe ich aber keinen Bedarf nach befristeter Vermietung. Das dient aus meiner Sicht nur einer sozial wenig verträglichen Gewinnmaximierung.

Die Regierung plant, auch in Gründerzeitvierteln einen Lagezuschlag zu ermöglichen. Das träfe hauptsächlich Wien. Wie würde sich diese Maßnahme auswirken?
Das Regierungsprogramm wurde zu einem Zeitpunkt geschrieben, wo der Lagezuschlag auf Basis der Grundstückspreise und keines anderen Kriteriums festgelegt wurde. Seither hat sich Einiges geändert. Es gab die Entscheidung des OGH, wonach die Lage nicht allein aus dem Grundkostenanteil abzuleiten ist. In der neuen Lagezuschlagskarte der Stadt Wien haben die Durchschnittslagen zugenommen. Ich würde das Regierungsprogramm deshalb so interpretieren, dass man nicht nur die Gründerzeitviertel aus dem Richtwertgesetz streichen, sondern auch den Lagezuschlag wieder an den Bodenpreis koppeln würde. Das würde die Neuvermietung und die Verlängerung befristeter Verträge im privaten Altbausegment in großen Teilen der Stadt erheblich verteuern.

Wie Ihre Studien bereits mehrfach gezeigt haben, wird derzeit auch dort, wo die Preisgrenzen des Richtwerts gelten sollten, real deutlich teurer vermietet…
Ja. Kurios ist, dass fallweise beim Richtwertsystem Mieten herauskommen, die der Markt gar nicht hergibt. Im 1. Bezirk ist ein Lagezuschlag von bis zu 11 Euro möglich, dazu kommen noch einmal 6 Euro Richtwertmiete. Das macht 17 Euro; deutlich über der Marktmiete.

Die neue Wiener Bauordnung führt die Widmungskategorie »geförderter Wohnbau« ein, die dazu dienen soll, die Bodenpreise einzudämmen. Was erwarten Sie von dieser Maßnahme?
Die Bauordnungsnovelle ist ein großer Wurf und ich hoffe, dass die Umsetzung auch tatkräftig erfolgt. Vor der Bauordnungsnovelle wäre in U-Bahn-Nähe auch in Außenbezirken trotz einer Umwidmung kein geförderter Wohnbau möglich gewesen, weil Preise zwischen 800 und 1.000 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche verlangt werden. Ein gemeinnütziger Bauträger darf jedoch höchstens 235 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche ausgeben, um Wohnbauförderung bekommen zu können. Die neue Widmung bringt einen Fortschritt, denn damit wird dort in einem Ausmaß von 50-66 Prozent geförderter Wohnbau möglich. Wenn der Grundeigentümer 34 Prozent um 900 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche verkauft und den Rest um 235 Euro, lukriert er oder sie immer noch eine stattliche Summe.

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