Österreich, Wien 08.04.2019
Was im Herbst nur eine Hoffnung war, ist nun Realität: Die Mieter im Haus ohne Dach in der Wiener Radetzkystraße haben den Winter in ihren Wohnungen überstanden. Die Chronologie eines mithilfe der Mietervereinigung in einem Rechtsstreit mit dem Hauseigentümer hart erkämpften Etappensieges.
Auf halbem Weg zwischen der Wiener Innenstadt und dem Prater ragt seit Monaten ein Haus ohne Dach in die Luft. Die exponierte Lage an der stark befahrenen Franzensbrücke am Donaukanal macht es von weitem sichtbar und lässt es wie ein Mahnmal gegen die Auswüchse der Spekulation mit Wohnraum wirken.
Abbruchhammer gegen Mieterrechte
Die Vorgeschichte: Obwohl in dem Haus in der Radetzkystraße noch acht Mieter mit aufrechten Mietverträgen wohnten, ließ der Eigentümer im Juni des Vorjahres Abbrucharbeiten beginnen. Das Dach sowie ein Teil der obersten Etage wurden abgetragen. Kurz darauf stoppte die Baupolizei die Arbeiten und die Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA19) stellte das 1847 errichtete Haus wegen seines äußeren Erscheinungsbildes und seiner architekturhistorischen Qualität unter Schutz (Fair Wohnen berichtete).
Chronologie
Weil das Haus im Herbst noch ohne Dach und teilweise auch ohne Fenster da stand, war vor dem nahenden Winter Eile geboten. Die Mietervereinigung bot – unterstützt von Mieterhilfe und Rechtshilfefonds der Stadt Wien – den vom Teilabriss überrumpelten Mietern rasche rechtliche Hilfe an. Seither beschäftigt der Fall die Gerichte.
Noch im September brachte die Mietervereinigung eine einstweilige Verfügung (EV) beim Bezirksgericht ein, um die Mieter vor einem weiteren Abriss zu schützen.
3. Oktober: Die Baupolizei trägt dem Hauseigentümer per Bescheid auf, innerhalb einer Frist von 6 Wochen die noch stehende Kamingruppe und einige ebenfalls noch stehende Mauern aus Sicherheitsgründen abzubrechen. Um den Widerspruch zur ursprünglich eingebrachten EV, derzufolge alle Abrissarbeiten einzustellen sind, aufzuheben, beantragt die Mietervereinigung eine neue EV.
23. Oktober: Die Mietervereinigung bringt eine neue EV beim Bezirksgericht ein. »Damit wollten wir erreichen, dass die Abdichtung erfolgt und die Fensteröffnungen wind- und schlagregendicht verschlossen werden«, erklärt Mietrechtsexperte Andreas Pöschko. Er orientiert sich an der 6-Wochen-Frist der Baupolizei vom 3. Oktober und legt in der neuen EV den 16. November als Stichtag fest, zu dem die Maßnahmen umgesetzt sein müssen.
Das Bezirksgericht erlässt in der Folge die EV – die Gegenseite legt dagegen Rechtsmittel ein (sog. »Rekurs«, über den das instanzenmäßig übergeordnete Gericht entscheidet – in diesem Fall das Landesgericht) und stellt einen Antrag auf aufschiebende Wirkung.
16. November: Stichtag – Die in der EV bzw. von der Baupolizei aufgetragenen Maßnahmen sind nicht zur Gänze umgesetzt. »Die Fensteröffnungen wurden zwar abgedichtet, aber nicht ausreichend«, sagt Pöschko.
26. November: Die Mietervereinigung bringt bei Gericht einen Antrag auf Zwangsverwaltung ein, um die Maßnahmen zwangsweise umsetzen lassen zu können.
28. November: Das Bezirksgericht weist den Antrag der Eigentümer auf aufschiebende Wirkung zurück. Das bedeutet, dass die Maßnahmen unmittelbar umsetzbar sind.
12. Dezember: Lokalaugenschein vor Ort. Bei der Begehung des Hauses wird festgestellt, dass die Fensteröffnungen in der Zwischenzeit wind- und regendicht verschlossen wurden. Es wurden auch Maßnahmen zur Abdichtung der ersten durchgehenden Etagendecke unter dem (fehlenden) Dach gesetzt. Die Baupolizei moniert, dass bei der Abdichtung kein ausreichendes Gefälle hergestellt wurde.
18. Dezember: Im Zuge einer Verhandlung am Bezirksgericht hält die Mietervereinigung den Antrag auf Zwangsverwaltung aufrecht. »Unserer Meinung nach ist die Entwässerung nicht ausreichend«, sagt Pöschko.
9. Jänner 2019: Laut Baupolizei erfüllt die Dichtebene nun ihren Zweck. Die Mietervereinigung hält den Antrag auf Zwangsverwaltung weiterhin aufrecht, weil das Thema Gefälle noch nicht entsprechend geklärt ist. Jetzt muss ein vom Gericht bestellter Sachverständiger prüfen, ob die Abdichtung entsprechend dem Auftrag ausgeführt wurde.Immerhin: Im Haus selbst sei es nun trocken, erzählen die Mieter. Die Wohnungen sind beheizbar – wenngleich auch mit höherem Energieeinsatz.
15. Jänner: Das Wiener Landesgericht lehnt den Rekurs des Eigentümers ab und bestätigt damit die EV.
»Rückblickend haben wir die richtige Vorgangsweise gewählt, um den Mietern zu helfen«, sagt Pöschko. »Die EV war ein Mittel, um dem Eigentümer Verhandlungsbereitschaft abzutrotzen.« Weil die Abdichtung mittlerweile funktionstüchtig ist, zog die MVÖ schließlich auch den Antrag auf Zwangsverwaltung zurück.
Parlamentarische Anfrage
Diverse Medienberichte und eine Petition für den Erhalt des Hauses trugen den Fall in die Öffentlichkeit und bis ins Parlament. Die SPÖ stellte am 13. Dezember eine parlamentarische Anfrage zum Thema »Organisierte Altbau-Vernichtung in Wien«. Darin heißt es u.a.: »Ein Blick in das Grundbuch fördert im konkreten Fall (Radetzkystraße 24–25) [sic] zu Tage, dass der Urheber der rigorosen Abrisstätigkeiten weitreichende Aktivitäten zeitigt.«
Konkret wollten die anfragenden Parlamentarier von Justizminister Josef Moser u.a. wissen: »Was werden Sie als Minister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz unternehmen, um den menschenunwürdigen Umgang mit Menschen im Rahmen dieser Spekulationsvorgänge entgegenzutreten?«
Der Minister antwortete am 13. Februar: »Die gehäuften Abrisse von Gründerzeithäusern in Wien sind mir aus Medienberichten bekannt. Primär sind mit der Zulässigkeit der Abrisse Fragen des Baurechts angesprochen, das in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache ist und daher nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Soweit in Einzelfällen auch in Mietverhältnisse eingegriffen wurde, besteht bereits nach bestehender Rechtslage die Möglichkeit, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche geltend zu machen.«