Österreich, Recht, Rechtsprechung 16.03.2021
Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat als zweite Instanz die Mietzinsminderung eines Geschäftslokals während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 bestätigt.
Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 waren viele Geschäftslokale von einer behördlich angeordneten Schließung betroffen. Für die Mieter dieser Lokale stellten sich die Fragen: Muss ich in dieser Zeit Miete zahlen oder nicht? Kann ich die Miete reduzieren?
Die ersten Urteile zu diesen Fragen wurden gegen Ende des Jahres 2020 von Bezirksgerichten erstinstanzlich zu Gunsten der Mieter entschieden. Im Fall eines Wiener Geschäftslokals liegt nun eine Entscheidung der zweiten Instanz – des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen – vor. Auch hier wurde dem Mieter Recht gegeben.
Hintergrund
Kurz zum rechtlichen Hintergrund: Wenn ein Mietobjekt nicht so genutzt werden kann wie vertraglich vereinbart, hat der Mieter das Recht auf Mietzinsminderung. Dieses Recht stammt aus dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB, §1096) und gilt für alle Arten von Mietverhältnissen. Ebenfalls aus dem ABGB stammen zwei Bestimmungen zur Mietzinsreduktion bzw. zum kompletten Mietzinserlass (§1104, §1105) wegen „außerordentlichen Zufalls“. Darin wird geregelt, dass die Verpflichtung zur Bezahlung des Mietzinses entfällt, wenn das Mietobjekt aufgrund eines solchen „außerordentlichen Zufalls“ – beispielsweise einer Seuche – nicht mehr gebraucht bzw. benutzt werden kann. Ist das Mietobjekt eingeschränkt brauchbar, kann der Mieter eine verhältnismäßige Mietzinsreduktion geltend machen. Im Fall Corona dürfte unstrittig sein, dass es sich um eine Seuche handelt – spätestens seit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den COVID-19-Ausbruch am 11. März zur Pandemie erklärt hatte. Weil die Rechtsgrundsätze des ABGB auf das Jahr 1811 zurückgehen und die angesprochenen Paragraphen mangels „außerordentlicher Zufälle“ nur sehr selten zur Auslegung kamen, wurden Gerichtsurteile rund um diese Rechtsfragen mit großer Spannung erwartet.
Konkreter Fall
Zurück zum konkreten Fall rund um ein Geschäftslokal in Wien-Josefstadt. Der Mieter betreibt in den Räumlichkeiten eine Buchhandlung. Mit Inkrafttreten des ersten Corona-Lockdowns am 16. März 2020 war Kunden untersagt, das Geschäftslokal zu betreten. Dieser erste Corona-Lockdown galt bis 13. April 2020. Der Buchhändler nutzte das Geschäft zu einem eingeschränkten Teil als Lager. Bücher lieferte er nach Bestellung an Kunden aus, womit er allerdings nur maximal 5% des üblichen Umsatzes machen konnte. Der Buchhändler zahlte weiterhin den vollen Mietzins für März und April 2020, schrieb jedoch an die Hausverwaltung, dass er sich angesichts des behördlichen Betretungsverbotes eine Mietzinsminderung vorbehalte. Diese Mietminderung machte er später geltend und verlangte von den Vermietern eine Reduktion um rund 64%. Das Bezirksgericht gab dem Mieter Recht, die Vermieter beriefen gegen das Urteil – damit war als nächsthöhere Instanz das Landesgericht für Zivilrechtssachen am Zug.
So entschied das Landesgericht
Die Entscheidung des Landesgerichts, die ebenfalls zu Gunsten des Mieters ausfiel, behandelt einige wesentliche Fragen.
Erste Frage: Ist Covid-19 eine Seuche und damit ein „außerordentlicher Zufall“?
Das Gericht bejaht dies: „In Hinblick darauf, dass die WHO von einer Pandemie spricht, ist die Krankheit ‚Covid-19‘ jedenfalls im Hinblick auf die zu ihrer Bekämpfung erlassenen Gesetze und Verordnungen als Seuche im Sinne des §1104 ABGB anzusehen“, heißt es. Das habe aber nur „eher akademische Bedeutung“ für die Zinsminderung der Geschäftsraummiete, weil schon bei einem in §1096 ABGB erfassten „gewöhnlichem“ Zufall der Bestandgeber (Vermieter) die Preisgefahr trage. Die Rechtsfolgen eines „außergewöhnlichen Zufalls“ würden zwar in §1104 ABGB geregelt, seien aber „im Ergebnis ident: Die Preisgefahr trägt der Bestandgeber.“
Zweite Frage: Was, wenn ein Fixkostenzuschuss zusteht?
Dazu führt das Gericht aus, dass bei den Regelungen zum Fixkostenzuschuss zwar Geschäftsraummieten und Pacht als Fixkosten anerkannt werden, den Unternehmer aber eine Schadensminderungspflicht trifft. „In Bezug auf Immobilien bedeutet die Schadensminderungspflicht beispielsweise, dass sich der Bestandnehmer aktiv um eine Reduktion oder Aussetzung des Mietzinses bemühen muss, die Kündigung eines betriebsnotwendigen Vertragsverhältnisses mit dem Risiko eines Rechtsstreits mit unsicherem Ausgang ist jedoch nicht notwendig.“ Es sei – jedenfalls für den Zeitraum des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 – „nicht Aufgabe des Geschäftsraummieters, durch Verzicht auf eine ihm gesetzlich zustehende Mietzinsbefreiung bzw. -minderung auf Kosten des Steuerzahlers Förderungsleistungen zu beantragen, um diese dem Vermieter zukommen zu lassen.“
Dritte Frage: Wie ist die Höhe der Mietminderung zu ermitteln?
Dazu weist das Landesgericht darauf hin, dass die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die Gebrauchsfähigkeit des Objekts eingeschränkt ist, sich auch im Anwendungsbereich der §§1104 f ABGB nach den Grundsätzen des §1096 Abs 1 ABGB richtet. „Die Minderung des Bestandzinses ist durch Vergleich des Bestandzinses zu ermitteln, der ohne Mangel, und jenem, der mit dem Mangel für das Bestandobjekt am Markt zu erzielen ist.“ Im konkreten Fall falle bei einem Betretungsverbot ein großer Teil des Umsatzes einer Buchhandlung weg – hier wurden nur maximal 5% des üblichen Umsatzes erzielt und das Lager genutzt. Der Buchhändler habe mit einer Mietzinsreduktion um etwa 64% angesichts des Betretungsverbotes für den Verkaufsraum eine ohnedies vermieterfreundliche Berechnung durchgeführt, schließt das Gericht.
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