Österreich, Politik 28.12.2021
Eine alarmierende Umfrage zeigt: 58 Prozent sind von steigenden Wohnkosten betroffen. Mietervereinigung und Gewerkschaft vida fordern ein Entlastungspaket.
Unklare gesetzliche Mietzins-Obergrenzen, rückläufige Wohnbau- und Sanierungsförderung, aber auch Zinshaus- und Bodenspekulanten treiben die Preise für Wohnungen, Häuser und Grundstücke in die Höhe. Die Folge: Wohnen wird immer teurer und das nicht erst seit gestern. Steigende Mieten und Betriebskosten fressen die Einkommen der Österreicher immer mehr auf.
Angesichts solcher Rahmenbedingungen zeigten sich auch klar mehr als die Hälfte (58 Prozent) in einer Umfrage von den Preissteigerungen der letzten Jahre im Bereich des Wohnens und Mietens sehr bzw. ziemlich betroffen.
Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine von Reichmann Research Consulting im Auftrag der Mietervereinigung Österreichs (MVÖ) und der Gewerkschaft vida durchgeführte Studie. Dabei wurden per Online-Umfrage im Zeitraum September 2021 aktuelle Aspekte zum Thema Mieten und Wohnen unter 2.402 Mitgliedern von MVÖ und vida erhoben. Zu den Befragten aus ganz Österreich zählten sowohl Mieter von Privat-, Genossenschafts- bzw. Gemeindewohnungen, wie auch Eigenheimbesitzer.
Entlastungspaket gefordert
Der Befund ist klar: Gering- und Mittelverdiener müssen immer größere Anteile ihres Einkommens in Wohnkosten stecken. Damit dieser Trend endlich gebrochen werden kann, fordern MVÖ und Gewerkschaft von der Bundesregierung ein Entlastungspaket. Dieses muss gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung der Spekulation, Preisobergrenzen, eine Mietrechtsreform, sozial gerecht gestaltete Maßnahmen gegen den Klimawandel sowie Maßnahmen gegen Armut durch zu hohe Energiekosten umfassen.
Wer ist für die Preissteigerungen verantwortlich?
»Dass es eines solchen Entlastungspakets seitens des Bundes bedarf, zeigt die durchgeführte repräsentative Befragung. Ihre Ergebnisse lassen das hohe Ausmaß der finanziellen Mehrbelastung, mit denen die Befragten durch die Preissteigerungen im Bereich des Mietens und Wohnens konfrontiert sind, klar erkennen«, so die stv. vida-Vorsitzende und Bundesfrauenvorsitzende Olivia Janisch.
Als Verantwortliche für diese Preissteigerungen nennen rund zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) die Spekulation mit Immobilien, exakt die Hälfte (50 Prozent) sieht die Verantwortung dafür bei der Politik.
Mehr als ein Drittel aller Befragten sieht hier explizit die Bundesregierung in der Verantwortung, jede/r Fünfte die jeweilige Landesregierung. Mangelnder öffentlicher Wohnbau wird von 30 Prozent der Befragten als Preistreiber bei Wohnen und Mieten angesehen, jeweils etwa ein Viertel sieht eine Mitschuld bei den Bauträgern sowie den Immobilienmaklern.
Kosten für Klimawandel: Wer wird sie tragen?
Darüber hinaus zeigt die Erhebung den hohen Grad der von den Befragten erwarteten Ungerechtigkeit hinsichtlich der Lastenverteilung bei den Kosten für die Bewältigung der Klimakrise.
Dies lässt sich anhand der Diskrepanz zwischen der Erwartung »Wer wird die Hauptlast tragen?« sowie dem Anspruch »Wer soll die Hauptlast tragen?« klar nachvollziehen.
Die befragten Mitglieder von vida und MVÖ sind sich in der Einschätzung einig:
Unter derzeitigen Gesichtspunkten betrachtet, werden die normalen Leute – vor allem Arbeitnehmer, sozial Schwache, kleine Landwirte sowie Pensionisten die Hauptlast jener Kosten zu tragen haben, die für die Bekämpfung des Klimawandels aufgewendet werden.
Kosten für Klimawandel: Wer soll sie tragen?
Stellt man die Frage umgekehrt danach, wer die Hauptlast der Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels tragen soll, ergibt sich ein ebenso eindeutiges Bild. Die Befragten sehen in erster Linie Konzerne, industrialisierte Landwirtschaft sowie Vermögende in der Pflicht.
Entlastungspaket gefordert
»Die Bundesregierung muss diesen Erwartungshaltungen der Betroffenen und den alarmierenden Ergebnissen der Studie jetzt mit einem Entlastungspaket für Mieten und Wohnen im Rahmen der jüngst bekannt gewordenen Steuerreform Rechnung tragen, denn derzeit hat diese die Bezeichnung ›öko-sozial‹ nicht verdient«, fordern Janisch und Niedermühlbichler. Es kann nicht sein, dass Konzerne und Reiche von der Reform profitieren, während Klein- und Mittelverdiener mit dieser bestraft werden.
Immobilienspekulationen eindämmen
Zudem braucht es an erster Stelle wegen der ausufernden Immobilienspekulationen hierzulande auch dringend Maßnahmen gegen die steigenden Grundstückspreise, so vida und MVÖ. Wohnen muss in der österreichischen Verfassung als Grundrecht verankert werden und soziale sowie gesellschaftspolitische Aspekte im Bereich Wohnen müssen gegenüber der Wettbewerbsfreiheit und Profitgier eindeutigen Vorrang erhalten. Die stetig steigenden Grundstückspreise machen es auch gemeinnützigen Bauvereinigungen zunehmend schwer, Flächen für die Errichtung leistbarer Wohnungen zu finden. Wien hat mit der Reform der Bauordnung 2018 einen Schritt in die richtige Richtung gesetzt: mit einer neuen Widmungskategorie »Geförderter Wohnbau« sollen die Kosten für Bauland begrenzt und der Spekulation mit Grundstücken ein Riegel vorgeschoben werden. Die neue Widmung kann bezahlbare Grundstücke für den Bau von neuen Genossenschafts- und Gemeindewohnungen sichern und damit preisdämpfend auf den Wohnungsmarkt wirken. Eine Maßnahme, die in dieser Form auch in anderen Bundesländern wirksam sein könnte.
Preisobergrenzen bei Mieten
Die MVÖ fordert außerdem eine klare Preisobergrenze für alle Mietverhältnisse. »Für Mieter sind die Belastungsgrenzen längst erreicht – für junge Familien und Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher oft schon deutlich überschritten«, erklärt Niedermühlbichler. Wenn heute selbst ein durchschnittliches Einkommen für einen großen Anteil der Wohnungen am privaten Mietsektor nicht mehr ausreicht, während auf der anderen Seite die Immobilienwirtschaft satte Gewinne feiert, dann ist der sogenannte »freie Wohnungsmarkt« ganz offenbar aus den Fugen geraten.
Selbst im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes, das eigentlich einen Preisschutz garantieren soll, fehlen klare gesetzliche Regelungen. Diese Lücke begünstigt einen Wildwuchs an Zuschlägen zur Miete, die häufig erst in Verfahren vor der Schlichtungsstelle oder vor Gericht überprüft werden können. Die MVÖ tritt daher für klare und nachvollziehbare Mietzinsobergrenzen ein. In einem Zu- und Abschlagskatalog sollen sämtliche Zuschläge auf maximal 25 Prozent vom Richtwert gedeckelt werden. Niedermühlbichler: »Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das für uns alle leistbar sein muss. Politische Lösungen sind längst überfällig und die Vorschläge zur Verbesserung liegen längst auf dem Tisch – konkret steht hier die Bundesregierung in der Pflicht, da das Mietrecht Bundessache ist.“
Ein Mietrecht für alle
Derzeit gibt es viele verschiedene Regelungen für Mietwohnungen. Im privaten Sektor entscheiden historische Stichtage, ob das Mietverhältnis dem Mietrechtsgesetz unterliegt oder nicht. Nur im sogenannten »Vollanwendungsbereich« des Mietrechtsgesetzes gelten sowohl Preis- als auch Kündigungsschutz für Mieter. Die wackeligen Preisgrenzen des Mietrechtsgesetzes gelten damit praktisch nur in Altbauten (errichtet vor 1945). Dies betrifft in Österreich rund 40 Prozent aller privaten Hauptmieten. Für die Mehrzahl der privaten Mietverhältnisse (rund 60 Prozent) gibt es gar keinen gesetzlichen Preisschutz. Die Miethöhe ist beliebig, es können Ablösen verlangt werden, die Abrechnung der Betriebskosten und die Behebung von Schäden ist ungeregelt. Nachdem sich der historische Stichtag nicht ändert, wird naturgemäß der Anteil der Mietwohnungen, für die ein echter Mieterschutz gilt, immer kleiner.
Daher braucht es endlich ein faires Mietrecht für alle, fordert Niedermühlbichler. Es ist nur schwer einzusehen, weshalb ein 76 Jahre zurückliegender Errichtungszeitpunkt ausschlaggebend für die Anwendbarkeit des Mietrechtsgesetzes sein soll. »Preisschutz und Kündigungsschutz sind die zentralen Säulen des Mieterschutzes. Dies muss auch für alle Mietverhältnisse gelten.« Ausnahmen vom Preisschutz sollten künftig nur für Neubauten gelten, die vor weniger als 30 Jahren vor Mietvertragsabschluss errichtet wurden. Damit bliebe der Investitionsanreiz erhalten, der Anwendungsbereich des Gesetzes würde sich jedoch nicht allmählich immer mehr reduzieren.
Sozial gerechte Maßnahmen gegen Klimawandel
Eine Postleitzahl, wie sie etwa für die Höhe des Klimabonus im Zuge der Reform ausschlaggebend sein soll, sagt noch nichts über die finanzielle Situation von Menschen und ihre Kosten für Wohnen und Mobilität aus. Maßnahmen gegen den Klimawandel müssen sozial gerecht gestaltet sein, fordert Janisch. Die Steuerreform ist dafür in ihrer aktuell vorliegenden Form aber nur wenig geeignet. Der Familienbonus würde Familien, die ihn tatsächlich bräuchten, nicht helfen. Die Steuerreform ist nur der tendenzielle Ausgleich der kalten Progression für Arbeitnehmer und ein unnötiges Milliarden-Steuergeschenk an Konzerne und große Unternehmen. »Mieten und Wohnen wird für die Durchschnittsösterreicher dadurch nicht billiger«, kritisiert die stv. vida-Vorsitzende: Wieder einmal habe es die Bundesregierung bei der Steuerreform verpasst, über eine Vermögenssteuer auch von den Reichen und Privilegierten einen Beitrag zu Klimaschutz und Armutsbekämpfung einzuheben.
Armutsbekämpfung bleibt auf der Strecke
Die Gewerkschaft vida fordert zudem, dass es in Österreich dringend Maßnahmen gegen Armut durch zu hohe Energiekosten braucht. Denn als großes Fragezeichen der Reform bleibt, was an Budgetmitteln noch übrigbleibt, um dringenden Investitionen etwa in die Armutsbekämpfung zu tätigen. Schließlich müssen Sozialbudgets, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung genauso wie Miet- und Heizkostenschüsse erhöht werden, um einkommensschwächere Personen und Familien von den explodierenden Miet- und Wohnkosten zu entlasten. »Sonst droht mittelfristig die totale Verarmung von Teilen der Bevölkerung«, warnt Janisch.
Klimaabzocke bei Mietern
Die Arbeitnehmer tragen ohnehin gemeinsam mit den Pensionisten und als Konsumenten 80 Prozent der Steuerlast. Als Mieter können sie sich zudem die Art der Energieversorgung nicht aussuchen und zahlen durch CO2-Steuern drauf. Denn können sie nicht auf andere Heizarten ausweichen, wird das bei der Rückverteilung bei der Steuerreform nicht berücksichtigt.
Deswegen müssen in die kommende CO2-Bepreisung unbedingt die Vermieter miteinbezogen werden. Schließlich haben die Mieter keine Möglichkeit, das Heizsystem in einem Mehrparteienhaus zu ändern. »Es ist ungerecht und auch klimapolitisch verfehlt, wenn der CO2-Preis für den Betrieb dieser Heizungen den Mietern aufgebürdet wird«, erklärt Niedermühlbichler. Schon das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz bringt Mietern Mehrkosten von durchschnittlich rund 60 Euro. Durch die CO2-Steuer kommen schon zu Beginn noch einmal mehr als 100 Euro dazu – und dieser Betrag wird immer weiter steigen. »Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite Mieter mehr bezahlen müssen, damit sich auf der anderen Seite Vermieter Investitionen in klimafreundlichere Heizformen und energetische Sanierungen ersparen können.«