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Österreich, Rechtsprechung, Wien 05.04.2022

Verfassungsgerichtshof bestätigt Mieterschutz

  • Sujetfoto: istockphoto.com

Die Mietervereinigung half einer jungen Wienerin, ihre Wohnung nach dem Tod der Eltern zu behalten, wandte eine ungesetzliche Mieterhöhung ab und parierte den Angriff des Vermieters auf das Mietrecht vor dem Verfassungsgerichtshof.

 

Seit ihrer Geburt lebte Andrea Wagner (Name von der Redaktion geändert) mit ihren Eltern in einer Wohnung in Wien-Mariahilf. 2017 verstarb die Mutter, im August 2019 der Vater – beide nach langer Krankheit. Wagner trat in das Hauptmietrecht des Vaters ein. Ihr gutes Recht, denn einem Kind, das im gemeinsamen Haushalt gelebt und dringenden Wohnbedarf hat, steht dies nach dem Tod der Eltern laut §14 Mietrechtsgesetz zu.

Unter dem Eindruck des Schicksalsschlages hoffte Wagner in dieser für sie äußerst belastenden Situation auf Empathie und Fairness seitens des Hauseigentümers – schließlich war die Familie seit über 30 Jahren treuer Mieter. Sie wurde bitter enttäuscht. Der Eigentümer, ein börsenerfahrener Multimillionär, setzte die junge Frau eiskalt unter größtmöglichen Druck. Noch im November 2019 leitete er ein Kündigungsverfahren ein.

Wagner wandte sich an die Mietervereinigung, wo sie rasch Hilfe erhielt. Mithilfe eines beigestellten Rechtsanwalts wurde die ungerechtfertigte Kündigung abgewehrt. Alles gut? Mitnichten! Nach dem gescheiterten Räumungsversuch setzte der Hauseigentümer seine Einschüchterungs-Strategie fort und erhöhte im Jänner 2020 den monatlichen Mietzins um 1.300 (!) Euro – und zwar rückwirkend per September 2019. Wagners Vater hatte für die Wohnung einen Netto-Mietzins von 351 Euro vereinbart – sie sollte nun vom Zeitpunkt ihres Eintritts in den Mietvertrag plötzlich den Fantasie-Betrag von 1.653 Euro zahlen. Ein Betrag, der für Wagner schlicht nicht zu leisten war, weil er deutlich über ihrem Verdienst lag.

Wagner wandte sich erneut an die Mietervereinigung – dort errechneten die Wohnrechts-Experten einen höchstzulässigen Mietzins von 661 Euro und empfahlen ihr, bis auf weiteres diesen Betrag zu überweisen. Der gesetzliche Hintergrund findet sich in §46 Mietrechtsgesetz. Der Vermieter bestand jedoch weiterhin auf seinem Fantasiezins und setzte noch im Jänner den Rechtsweg in Gang, um Wagner weiterhin unter Druck zu setzen. Das Verfahren zur Feststellung des zulässigen Mietzinses zog er rasch von der Schlichtungsstelle zu Gericht ab. Vor dem Bezirksgericht musste er gegen die von den Experten der Mietervereinigung vertretene junge Frau allerdings eine Niederlage hinnehmen. 661 Euro sind der höchstzulässige Mietzins, hieß es in der Entscheidung des Gerichts vom Oktober 2020.

Der aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage nicht überraschende Beschluss förderte die einfühlsame Seite des bisher eiskalten Multimillionärs zutage. Jener Mann, der seiner jungen Mieterin kurz nach dem Tod ihres Vaters eine ungerechtfertigte Kündigung zustellen ließ und nach deren Scheitern eine ungesetzliche Mieterhöhung um mehr als 1.300 Euro umhängen wollte, fühlte sich nun ungerecht behandelt: nicht die Verdopplung, sondern erst die Vervierfachung der Miete hätte seinem feinfühligen Gerechtigkeitssinn Genüge getan...

Folglich ließ er seine Anwälte einen Rekurs gegen die Entscheidung des Gerichts und gleich auch einen Antrag auf Normenkontrolle beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einbringen. Damit wurde das Verfahren bei Gericht gestoppt und der VfGH musste prüfen, ob der Antragsteller durch rechtswidrige Normen in seinen Rechten verletzt wurde. Im konkreten Fall wollte der Vermieter die gesetzliche Bestimmung, wonach bei Eintritt von Berechtigten in ein bestehendes Mietverhältnis der Mietzins nur bis zu einer gewissen Obergrenze erhöht werden darf, kippen – ein direkter Angriff auf eine wichtige Schutzbestimmung des österreichischen Mietrechts. Die Mietervereinigung stellte Wagner einen Anwalt bei, um die Attacke im Interesse aller Mieter zu parieren.

Im November 2021 wies der VfGH den Antrag des Vermieters entschieden zurück: »Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum erheblichen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Mietrecht lässt das Vorbringen des Antrags die behauptete Verfassungswidrigkeit als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.« Die Mietervereinigung bewahrte mit diesem Erfolg vor dem Höchstgericht nicht nur Wagner, sondern alle, die in einen Mietvertrag eintreten, vor willkürlichen und unleistbaren Mietsteigerungen.

Mit der Entscheidung des VfGH wurde das Verfahren bei Gericht fortgesetzt. Somit war nun das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien am Zug. Auch hier war die Entscheidung eindeutig: Der Rekurs des Vermieters wurde abgewiesen, ihm bleibt kein weiteres Rechtsmittel.

Nach über zwei Jahren steht nun fest: Wagner kann in der Wohnung bleiben. Ihr Mietzins beträgt 661 Euro. Die Kosten der Verfahren muss der Vermieter tragen.

Die Mietervereinigung wird auch künftig – wie seit mittlerweile 111 Jahren – Mietern mit Rat und Tat hilfreich zur Seite stehen.

Wie der konkrete Fall zeigt, ist der Mieterschutz auch in Österreich nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder auf Neue gestärkt und bestätigt werden; und er zeigt anschaulich, wie stark Politik und Gesetzgebung beim Thema Wohnen gefordert sind, um viele vor den Begehrlichkeiten weniger zu bewahren.

 

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