Im großen Fair-Wohnen-Interview spricht Uni-Professorin, Architektin und Autorin Gabu Heindl mit MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler über Wohnen als Grundrecht, Wohnpolitik und internationale Vergleiche.
Georg Niedermühlbichler: Wien gilt, was Wohnen betrifft, international immer noch als Vorzeigestadt. Trotzdem fühlen sich 13 Prozent der Haushalte von ihren Wohnkosten überlastet. Wie passt das aus ihrer Sicht zusammen?
Gabu Heindl: Ich baue derzeit an der Uni Kassel einen Lehrstuhl auf, der sich mit Ökonomie und leistbarem Wohnen beschäftigt. Wien gilt dort als Beispiel, als ob hier alles eitel Wonne wäre. Für rund die Hälfte aller Wiener – im Gemeindebau und im geförderten Wohnbau – ist das Wohnen, solange es noch bezahlbar ist, ja tatsächlich sicher, und es gibt eine relativ hohe Qualität. Für eine Studie der Wiener Arbeiterkammer (»Gerechte Stadt muss sein«) haben wir ermittelt, dass auf Basis der Einkommensobergrenze rund 80 Prozent der Menschen in Wien Anrecht auf eine Sozialwohnung haben. 50 Prozent wohnen in einer, das bedeutet: 30 Prozent schaffen es nicht. Eine Schlussfolgerung wäre: wir brauchen eine höhere Quote an sozialem Wohnbau in der Stadt. Man muss also das Bild sowohl in Wien als auch woanders sehr differenziert zeichnen.
Der Mensch lebt nicht im Vergleich und Wiener haben nichts vom oft gehörten Hinweis, dass es in Paris doppelt so teuer ist. Das Leben muss ja hier leistbar bleiben. Was braucht es ihrer Ansicht nach, um Wohnen in Österreich leistbarer zu machen?
Grundsätzlich braucht es ein Zugeständnis, dass Wohnen ein Recht für alle ist. Es gilt auch in Österreich zu klären, inwiefern Wohnen ein Marktprodukt oder aber eine öffentliche Aufgabe ist. Ganz konkret brauchen wir unbedingt einen Mietendeckel; denn die Mieten steigen ja nicht automatisch – sie werden aktiv erhöht. Es braucht dringend ein Ende der Befristungen im privaten Sektor, die Menschen massiv unter Druck setzen und alle drei Jahre konzeptuell wohnungslos machen. Wenn wir die ökologische und soziale Frage beantworten wollen, dann darf kein Neubau mehr entstehen, der nicht maximal ökologisch und maximal sozial ist. Das ist eine wohnbaupolitische Frage, die in Wien anders gelöst wird als in den Bundesländern. Luxuswohnungen lösen das Wohnproblem nicht, im Gegenteil: jede Luxuswohnung steht anstelle
einer potenziell leistbaren Wohnung. Es gibt ausreichend Instrumente, um hier öffentlich gegenzusteuern – zum Beispiel Widmungskategorien.
In ihrem Buch Stadtkonflikte geht es um Konflikte die im öffentlichen Raum geführt werden müssen. Welche Konflikte braucht es jetzt?
Die wohnungspolitischen Kämpfe sind momentan die größten. Wir alle – auch jene, die sich in einer sicheren Wohnsituation befinden – müssen uns solidarisieren, um eine sichere Situation für alle zu schaffen. Dass Menschen immer wieder in die prekäre Situation kommen, nicht zu wissen, wo ihre nächste Wohnung sein wird, ist für jede Gesellschaft katastrophal. Dieser Konflikt ist mit jenen Lobbys zu führen, die darauf achten, dass Mieterinnenschutz nicht ausgebaut wird. Es geht nicht um jene, die eine, zwei, oder drei Wohnungen weitervermieten. Es geht um die nicht greifbaren, großen Konzerne, die, wenn es gut läuft, ihre Profite abholen und wenn es eine Krise gibt, ihr Risiko auf den Staat überwälzen. Diese Profiteure müssen nun mitzahlen.
Fast jede Krise war in Wirklichkeit eine Umverteilung von unten nach oben. Die Coronakrise hat gezeigt, wohin die Fördermilliarden gegangen sind: zu den großen Firmen, die danach fette Gewinne gemacht haben.
Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die Mieten jetzt erhöht werden sollten. Die Wohnkostenhilfe der Regierung ist ein Affront. Warum aus Ärger über die Almosenpolitik in dieser Leistbarkeitskrise nicht alle Menschen auf die Straße gehen? Nur weil sich viele selbst das nicht mehr leisten können, weil sie die Zeit, die Kraft, die Energie dafür nicht haben.
Die Mobilisierung in Sachen leistbares Wohnen leidet aus meiner Sicht auch darunter, dass sehr viele – zum Beispiel im geförderten Wohnbau – gut wohnversorgt sind.
Wir müssen darauf achten, dass Mietern nicht die Sicherheit wegbricht. Ich muss mir sicher sein, dass meine Miete leistbar bleibt und ich nicht rausgeschmissen werde. Da muss ich die Stadt Wien in die Pflicht nehmen. Es war ein Fehler, zuzulassen, dass geförderter Wohnbau nicht ausnahmslos dauerhaft sozialgebunden ist. Das verunsichert Mieter – und das ist es, was der Markt sich wünscht. Dass private Konzerne wie Vonovia zuerst sozialen Wohnraum privatisieren und danach in Wien „sozialen“ Wohnneubau mit anbieten können, ist skandalös.
Im Richtwertbereich führt der Lagezuschlag dazu, dass Wohnungen rechtens sehr teuer angeboten werden können und die Überprüfung der Miethöhe durch den Mieter oft erst nach teuren Gutachten durch Sachverständige, ob dieser Lagezuschlag gerechtfertigt ist, abgeschlossen werden kann. Welche Kriterien machen in einer Stadt eine gute Lage aus? Wie ließe sich eine schlechte Lage charakterisieren? Denn, wo ein Zuschlag, da muss ja auch ein Abschlag möglich sein.
Ich bin für die Abschaffung des Lagezuschlags. Im Lagezuschlag steckt die völlige Absurdität, dass jemand, der zufällig oder spekulativ Wohnraum- Eigentum erworben hat oder in einer bestimmten Lage solch ein Eigentum besitzt, jenen Mehrwert abschöpft, den die Öffentlichkeit generiert hat.
Wir alle zahlen dafür, dass U-Bahnen oder Straßenbahnen herumfahren, dass es Parks gibt, dass also Lagen besser sind - und abgeschöpft wird das über die Miete. Wenn es überhaupt einen Lagezuschlag geben sollte, dann sollte er an die öffentliche Hand gehen und nicht an den Vermieter. Aber: ein ordentliches steuerliches Umverteilungssystem, das Reichen-, Vermögens- und Erbschaftssteuern beinhaltet und diese Einnahmen wiederum der öffentlichen Infrastruktur zuführt, sollte dafür sorgen können, dass ich im Grunde gar keine schlechten, sondern nur unterschiedliche Lagen habe.
Das Thema thermische Sanierung und Dekarbonisierung wird in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen. Vermieterverbände fordern, dass die Kosten dafür an die Mieter durchgereicht werden können. Wie sieht ihr Standpunkt dazu aus?
Man könnte überlegen, auf Warmmieteumzustellen. Das wäre für Vermieter ein Anreiz, zu dämmen, weil das die Wohnkosten insgesamt geringer halten würde und eine solche Wohnung leichter vermittelbar sein würde. Das hängt natürlich davon ab, dass ein Mieter mitspielt und nicht die Fenster bei laufender Heizung offenstehen lässt - was leider ein Problem der Warmmiete ist.
Zur Frage: warum muss ich mein Eigentum auf den Stand der Technik sanieren, wenn ich dieses auch so vermieten könnte? Weil Eigentum verpflichtet. Eigentum heißt, dass dieses über eine Dauer hinweg genutzt werden kann. Eigentum heißt auch, dass es im Sinne eines intergenerationalen Vertrages für künftige Generationen leistbar – finanziell wie ökologisch – sein muss. Was sagen Sie den Eigentümern auf deren Frage: warum soll ich das zahlen?
Ich sage: das ist ihr Eigentum und die Erhöhung der Miete mit dem Index wird mit anstehenden Sanierungen argumentiert.
Warum soll der Mieter zweimal zahlen? Wir finden die Indexanpassung nicht gerecht, weil ein Gebäude, das vor 30, 40 Jahren errichtet wurde, bereits abbezahlt ist.
Ich habe eine Diagrammserie entwickelt, die aufzeigt, wie selbst im mietpreisgedeckelten Segment der Profit von Jahr zu Jahr wächst. In Wirklichkeit dürfte die Miete nie steigen. Warum sollte mit der Wohnungsnot anderer und mit der Ökologienot der nächsten Generation Profit gemacht werden? Es gibt keinen Grund, warum man dauerhaft leistungsloses Einkommen beziehen sollte und dieses ständig steigen sollte.
In der Coronakrise sind Unternehmen nach dem Motto »Koste es was es wolle« mit Milliarden unterstützt worden. Doch für jede Unterstützung der breiten Masse muss man kämpfen und argumentieren, damit irgendwann gönnerhaft 200 Euro verteilt werden. Es sollte sein, wie sie vorher gesagt haben: wer gut verdient, soll gut Steuern zahlen. Wer wenig verdient, soll wenig Steuern zahlen. Da gehört nicht nur das Arbeitseinkommen dazu, sondern auch Vermögens- und Erbschaftssteuern, Besteuerung von arbeitslosem Einkommen. Das ist der Grundsatz einer Gemeinschaft.
Wir müssen Wege finden, deutlicher zu machen, was hier für eine bodenlose Ungerechtigkeit im Raum steht. Wenn einem eine Regierung so ins Gesicht spuckt, dann müsste ich sie eigentlich abwählen. Auf der anderen Seite höre ich von Leuten, die ein bisschen Eigentum besitzen: Mein Eigentum belastet mich. Ich sage: Dann entlaste dich, mach es zu gemeinnützigem kollektiven Eigentum. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die nicht wollen, dass es so weitergeht. Bauen wir einen Grundstock an nicht belasteten Häusern zum Wohnen auf. Bauen wir Plattformen auf und finden wir Wege, die kleinen Eigentümer ins Boot zu holen, die ohnehin Gutes wollen.
Welche Wohnformen sollten im Hinblick auf die Klimakrise und den Bodenverbrauch in Zukunft dominieren? Fällt uns unsere historische Fixierung auf das Einfamilienhaus auf den Kopf?
Ich glaube schon. Seit ich selbstständig bin, steht auf meiner Webseite, dass ich keine Einfamilienhäuser plane. Es gibt ja ausreichend Einfamilienhäuser, viele stehen leer. Die Zukunft des Wohnens wird total divers sein, aber in all den Räumen, die schon gebaut sind, stattfinden.
Sehen Sie Länder, die Österreich in Wohnfragen als Vorbild dienen können?
Man kann von vielen Ländern lernen. Es gibt viele, die Mieten eingefroren haben. Barcelona hat ein Gesetz reaktiviert, dass es immer schon gegeben hat: nämlich die Möglichkeit, aktiv leerstehende oder nicht genutzte Wohnungen einer Wohnnutzung zuzuführen. Das ist ein richtiger Schritt und erinnert an das Rote Wien, wo es das Wohnungsanforderungsgesetz gab, das verhindert hat, dass Wohnungen absichtlich leer stehen gelassen wurden. Heute muss die Öffentlichkeit gewährleisten, dass wir alle uns Wohnen leisten können. Der freien Entscheidung, eine Wohnung überhaupt nicht nutzen zu lassen, sollten wir entgegnen, dass es sich um eine Zweckentfremdung handelt. In Deutschland werden zurzeit Zweckentfremdungsgesetze eingeführt, in dem Sinne, dass Nichtvermietung, gewerbliche oder keine Nutzung einer Wohnung eine klare Zweckentfremdung darstellt.
Also sollen wir uns nicht mit einer Leerstandabgabe aufhalten, sondern gleich sagen: Leerstand kann nicht sein.
Dazu muss man nur in die Geschichte blicken. Das hat es schon gegeben. Eine neue Form von Zwangsanforderung kann gut argumentiert werden: Zweckentfremdung entspricht nicht dem öffentlichen Interesse – es ist nicht nur sozial, sondern auch ökologisch eine Katastrophe.
Danke für das Gespräch.