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Österreich 25.06.2023

Konturen eines ›18er-Verfahrens‹

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Ein Investor kauft einen Gründerzeit-Altbau und versucht mit Hilfe eines langwierigen Verfahrens durchzusetzen, dass die Mieter für seine Umbauten zahlen. Fair Wohnen sprach mit den Mietern.

 

Vom Stolz des einstigen Eckzinshauses aus der Wiener Gründerzeit ist derzeit nur wenig zu sehen. Vier Stockwerke hoch reicht das Gerüst, bis dorthin, wo früher einmal das Dach war. Der Weg zu den letzten beiden verbliebenen Mietern im Haus gestaltet sich abenteuerlich, durch einen Vorhang aus Staub gelangt man in ein Stiegenhaus, das frei zu schweben scheint, wo einen der Baulärm durch ein Labyrinth aus kleinen Schutthäufchen, teileingerissenen Wänden, freiliegenden Kabeln, Rohren und diversen Pölzungen begleitet.

 

Das »18er-Verfahren«

 

Die Mieter bitten Fair Wohnen über einen feuchten Ausreibfetzen, der als improvisierte Schmutzschleuse dient, in ihre Wohnung. Sie haben sich bereit erklärt, uns anonym ihre Eindrücke vom Ablauf eines im Jargon sogenannten »18er-Verfahrens « zu schildern. Wie wirkt sich dieses berüchtigte Verfahren auf Mieter aus? Woran merkt man überhaupt, dass man in einem solchen steckt? Welche Tipps können sie Mietern geben, denen Ähnliches bevorsteht? Welche Fehler gilt es zu vermeiden? Was ist ein »18er-Verfahren«? »Wenn dem Eigentümer eines Zinshauses die Mieteinnahmen für die Erhaltung des Hauses nicht reichen, kann er ein Verfahren nach Paragraf 18 Mietrechtsgesetz (MRG) beginnen«, erklärt Andreas Pöschko, Jurist der Mietervereinigung Wien und »18er«-Spezialist. Das Verfahren bietet einem Eigentümer die Möglichkeit, in bestehende Mietverträge einzugreifen und die Mietzinshöhe (unbegrenzt!) nach oben zu setzen. Für Mieter besteht also ein großes Risiko – weil es passieren kann, dass sie ein Vielfaches ihrer bisherigen Mieten zu zahlen haben.

 

Die Vorgeschichte

 

»1981 bin ich hier eingezogen «, erzählt Mieterin A., als wir im Wohnzimmer sitzen. immer wieder Hämmern und das laute Jaulen einer Flex zu hören. »Damals war das Haus komplett belegt, nicht eine Wohnung ist leergestanden. Wir haben unsere Wohnung selbst hergerichtet, es gab zuvor kein Bad und keine Heizung.« Das Haus sei keineswegs baufällig gewesen, es wurde frisch ausgemalt. Mieter B. lebt seit rund 10 Jahren im Haus. Um 2014 habe der heutige Eigentümer – nennen wir ihn der Einfachheit halber Investor – das Haus gekauft. Das Klima im Haus habe sich nach dem Kauf durch den Investor geändert. Frei werdende Wohnungen wurden, wenn überhaupt, nur kurzfristig vermietet, teils an Zuwanderer, »die sich mit unserem Mietrecht nicht auskennen«, meint B.

 

Start des Verfahrens: Vorsicht, Falle!

 

Dass dem Haus und den Mietern tiefgreifende Veränderungen bevorstanden, ahnte B. erst mit dem Aushang der Schlichtungsstelle. »Dort habe ich das erste Mal von der Existenz eines Paragrafen 18 erfahren«, erzählt er. »Wir haben uns umgehend mit der Schlichtungsstelle in Verbindung gesetzt. Von Seiten des Investors wurden wir darüber nicht informiert.«

 

Mieter B. warnt: »Wenn der Aushang nur einen Tag da war, gilt das als Verständigung. Ist das Schreiben am nächsten Tag verschwunden, haben sie keine Chance mehr – denn offiziell sind sie verständigt worden. Man würde vermuten, dass man als Mieter gesondert verständigt werden muss. Dem ist aber nicht so.«

 

Wie erfährt ein argloser Mieter von dem Beginn eines »18er- Verfahrens« in seinem Haus? »Die Schlichtungsstelle muss den Antrag im Haus aushängen, plus: einer Partei im Haus muss dieser individuell (behördlich eingeschrieben) zugestellt werden«, erklärt MVÖ-Experte Pöschko die Regelungen des MRG in diesem sogenannten Mehrparteienverfahren. Wer ist dieser eine Mieter, der informiert wird? Sofern der Vermieter nicht bereits einen Mieter vorgegeben habe, wähle die Schlichtungsstelle einfach den ersten in der Mietzinsliste – oft also Top 1. Alle Folgeentscheidungen werden ebenfalls nach diesem System zugestellt. Es kann also sein, dass ein Mieter auf Top 16 gar nicht mitbekommt, dass ein »18er-Verfahren« läuft, weil der Hausaushang verschwunden ist und der Mieter von Top 1 – aus welchen Gründen auch immer – schweigt.

 

Einem Mieter, der mitbekommt, dass ein »18er-Verfahren« in seinem Haus beginnt, rät Pöschko bei der Schlichtungsstelle anzurufen. Sollte es tatsächlich bereits einen Akt geben, könne man dort als Mieter auch Akteneinsicht nehmen.

 

Als der 18er-Antrag im Haus ausgehängt wurde, habe es noch sieben unbefristete und rund zehn befristete Mietverträge gegeben. »Wir haben damals mit den anderen Mietern die Situation erörtert«, erklärt Mieter B.

 

»Ein Schock«

 

Schließlich hätten sie im Oktober 2021 300 Seiten an Unterlagen bekommen, darunter die zukünftigen Mieterhöhungen. Pensionisten im Haus hätten eine gemeinsame Pension von 1.800 Euro gehabt und den Informationen aus dem Akt zufolge künftig über 1.000 Euro Miete zu zahlen. »Das war natürlich ein Schock.«

 

Mehrere Mieter hätten sich in der Folge von der Gebietsbetreuung beraten lassen und Informationen gesammelt. Ende November 2021 traten Mieterin A. und Mieter B. der MVÖ bei und wurden von nun an im Verfahren von der MVÖ vertreten.

 

»Bleiben sie nicht alleine«

 

Der Investor schicke einen Stellvertreter vor, berichten die Mieter. Dieser versuche, Druck aufzubauen: Es werde monatelang Staub und Dreck geben, danach sei die Miete viel höher. Deshalb unterbreite er nun ein einmaliges Angebot. Man stelle Ersatzwohnungen zur Verfügung, allerdings sei man nicht bereit, etwas zu bezahlen. »Wir haben die Termine mit dem Stellvertreter immer gemeinsam erledigt «, erzählen A. und B. »Das ist ein wichtiger Punkt: bleiben sie nicht alleine. Reden Sie nicht mit denen alleine. Vertrauen Sie denen nicht.«

 

Von Anfang an habe der Investor betont, dass für die Aufgabe der Mietrechte die Zahlung sechsstelliger Beträge – wie sie woanders durchaus üblich seien – bei ihm nicht drin wären. Mit der Einnahme sechsstelliger Beträge hat der Investor dagegen kein Problem: der umtriebige, sich gerne als Vorzeige-Kapitalist darstellende Unternehmer sackte für eine seiner Immo-Firmen laut Transparenzdatenbank mehr als 100.000 Euro Steuergeld an Corona-Hilfen ein.

 

Für die Mieter dagegen waren seine Vorschläge oft nachteilig: Entweder hätten sie mehr bezahlt oder eine kleinere Wohnung beziehen müssen; manchmal sogar beides. Eine echte Alternative sei ihnen nicht angeboten worden, monieren sie.

 

Was geschieht im Verfahren?

 

Zurück zum Verfahren: Was geschieht nun vor der Schlichtungsstelle? Dort wird geprüft, ob der Eigentümer die notwendigen Unterlagen vorgelegt hat und ob die Grundvoraussetzung vorliegt, dass die Sanierung mit den Mieteinnahmen (abzüglich der Ausgaben für notwendige Erhaltungsarbeiten) aus den vergangenen zehn Jahren und den voraussichtlichen Einnahmen der nächsten zehn Jahre nicht zur Gänze refinanziert werden kann.

 

MVÖ-Experte Pöschko steht den Mietern mit Rat und Hilfe zur Seite: »Es geht im wesentlichen darum, dass nur jene Kosten überwälzt werden, die tatsächlich nachprüfbar sind.« Analog zu Mietzinsverfahren gibt es auch beim »18er« die Möglichkeit, das Verfahren von der Schlichtungsstelle zu Gericht abzuziehen. Dies sei meist der Fall, erklärt Pöschko. Vor Gericht steigt freilich das Kostenrisiko, weil teure Gutachten drohen.

 

Eine letzte Frage, bevor wir uns über die Baustelle wieder nach draußen navigieren: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, aufzugeben und doch eine andere Wohnung zu nehmen? »Dass der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwingt, das wollen wir nicht zulassen«, sagt B. Wie es weitergeht? Fair Wohnen wird berichten.

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