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Österreich, Politik 20.12.2023

»Inflation dort bekämpfen, wo sie entsteht«

  • Stephan Schumleister im Fair Wohnen-Interview

Im großen Fair-Wohnen-Interview spricht Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister mit MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler über die Ursachen der Teuerung, Kosten- statt Marktpreise und die Mietpreisbremse.

 

Georg Niedermühlbichler: Sie sind einer der führenden Wirtschaftsforscher Österreichs, wie sehen Sie den derzeitigen Gelehrtenstreit um Maßnahmen gegen die Teuerung? Sind Zinsanhebungen das richtige Mittel?
 
Stephan Schulmeister: Grundsätzlich bin ich marktwirtschaftlich orientiert, gleichzeitig beobachte ich aber genau, ob die Grundbedingungen für ein Funktionieren der Märkte in bestimmten Bereichen gegeben sind.
 
Ein Beispiel: Energiepreise. Zwischen der Stromerzeugung aus fossiler und jener aus erneuerbarer Energie besteht ein gigantischer Unterschied, denn die zusätzlichen Kosten einer Megawattstunde sind bei erneuerbarem Strom null und bei fossilem Strom entsprechend des Gas-, Öl-, oder Kohlepreises höher. Eine einheitliche Preisbildung ist daher in diesem Fall völlig verfehlt. Aber genau das passiert in Europa - durch die sogenannte Merit-Order wird der Börsenpreis als Richtpreis vorgegeben.
 
Beispiel zwei: Immobilien. Nach der Grundlogik der Marktwirtschaft steigt der Preis eines knappen Gutes, wodurch die Unternehmer das Angebot erhöhen und somit die Versorgung der Bevölkerung verbessern. Diese Grundlogik ist in diesem Fall aber nicht gegeben, denn Grund und Boden ist im großstädtischen Raum nicht vermehrbar. Das ist der Pferdefuß bei der Anwendung von Marktlogiken auf den sogenannten Wohnungsmarkt. Neben der rein ökonomischen kommt noch eine soziale Dimension dazu. Es gibt Güter und Dienstleistungen, auf die man verzichten kann und es gibt welche, die existenziell notwendig sind wie Wohnen, Energie und Nahrungsmittel – bei diesen Gütern darf man nicht rein auf marktwirtschaftliche Preisfindung setzen.
 
Das heißt in Notsituationen, wie sie jetzt gegeben waren und sind, müsste eigentlich der Staat entsprechende Maßnahmen setzen und eingreifen. Dazu gleich meine zweite Frage: In Österreich haben wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine hohe Inflation. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
 
In Österreich hat man sich entschieden, nicht die Inflation zu bekämpfen. Inflation bekämpfen hätte bedeutet, den Preisauftrieb zu bekämpfen. Man hat sich stattdessen dazu entschlossen, die Folgen der Inflation abzumildern und den Menschen eine Vielzahl unterschiedlicher Transfers, Energieboni, Klimaboni und ähnliches gezahlt. Das war eine ziemlich unsinnige Form der Reaktion, weil sie tendenziell die Inflation wieder anheizt.
 
Beim Wohnen sind die Mieten in aller Regel mit dem Verbraucherpreisindex (VPI) indexiert. Im VPI stecken aber auch Preise für importierte Güter; steigen diese überdurchschnittlich - und genau das war der Ausgangspunkt -, dann würde das bedeuten, dass ein österreichischer Hausbesitzer von der Invasion des Herrn Putin profitiert, denn indirekt führt das zu höheren Gaspreisen, höheren Strompreisen usw. Das heißt die Verbraucherpreise steigen und steigen und die Mieten selbst sind wieder Teil des VPI, also steigt auch wieder der VPI und es kommt zu Rückkoppelungseffekten. Das ist der banale Grund warum Länder wie Spanien oder Frankreich, wo es Eingriffe in Marktprozesse bei Energie und Mieten gab, besser abgeschnitten haben was die Inflation betrifft.
 
Wenn aus wissenschaftlichen Gründen die Marktpreisbildung prinzipiell bei Immobilien oder Energie nicht funktioniert, dann gehört das anders reguliert. Ich neige stark dazu, dass man in all diesen Bereichen aus den genannten Gründen nicht Markt-, sondern Kostenpreise einführt. Bei den Immobilien würde das für mich bedeuten, eine generelle Richtpreisregelung einzusetzen, wobei in den Richtwerten die konkreten Kosten berücksichtigt sind.
 
Ich wäre der Meinung, dass sämtliche Mietwohnungen Richtwerten unterworfen sein sollten, unter Berücksichtigung der kapitalistischen Dynamik. Wenn jemand eine neue Wohnung schafft, braucht er auch eine Rendite. Daher wird der Richtpreis für eine neue Wohnung höher sein als für eine, die schon seit 60 Jahren abgeschrieben ist. Ich glaube, dass das prinzipiell kalkulierbar ist. Das hat Ähnlichkeiten mit Planwirtschaft. Aber wenn ein Marktversagen vorliegt, muss man eben versuchen eine andere Methode anzuwenden.
 
Die österreichische Regierung hat Geld in den Markt geschwemmt, was die Inflation angeheizt hat, während die EZB versucht, durch Zinserhöhungen Geld aus dem Markt zu bringen. Sind Zinssteigerungen das einzig mögliche Mittel um gegen Inflation anzukämpfen? Und wenn ja, hat dann die Bundesregierung dieses Ziel der EZB mit dem Ausschütten der vielen Förderungen konterkariert?
 
Das Dogma, dass man Inflation durch Zinssteigerung verringert, beruht auf einem fundamentalen Irrtum. Wenn das Volumen der Schulden in einer Volkswirtschaft genauso groß ist wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Zinsen steigen von 3 auf 6 Prozent, dann steigen die Zinszahlungen um 100 Prozent - für etwas, das genauso groß ist wie das BIP, also gibt es dann einen zusätzlichen Kostenschub um 3 Prozentpunkte des BIP. Wer sagt, dass man die Inflation durch Kostensteigerungen bekämpfen muss, müsste auch sagen, dass man die Inflation bekämpft, indem man die Löhne um 15 Prozent erhöht. Das ist verrückt. Hinter der Inflation stehen fast immer Verteilungskämpfe.
 
Im Moment sind es Verteilungskämpfe zwischen den - wie ich sie nenne - Fossil-Rentiers, den Besitzern der giftigen Schätze Erdöl, Erdgas, Kohle, und jenen, die sie verbrauchen. Warum? Weil die Besitzer der giftigen Schätze seit dem Pariser Klimaabkommen wissen, dass ihr gesamtes Geschäftsmodell nur noch ein paar Jahrzehnte hält. Und jetzt wollen sie für die Übergangszeit ein Maximum an Profit herausholen - das ist der Hintergrund der gegenwärtigen Inflation.
 
Was wäre Ihre Antwort, um die Inflation zu bekämpfen?
 
Die Inflation dort bekämpfen, wo sie entsteht. Wenn eine Komponente der Inflation beispielsweise die 50-prozentige Steigerung der Milchpreise ist, dann muss ich als Wirtschaftsforscher untersuchen, wie das bei der gleichen Anzahl von Kühen und dem gleichen Angebot von Milch möglich ist. Ich behaupte das lässt sich herausfinden.
 
Also Inflation dort bekämpfen, wo sie ist und nicht pauschal.
 
Schon gar nicht mit Zinsen, die ja die Kosten erhöhen. Die Unsinnigkeit der Inflationsbekämpfung wird beim Wohnen am deutlichsten: Wenn ich die Inflation im Bereich des Wohnens bekämpfen will, muss ich schauen, dass das Wohnungsangebot zunimmt. Die Zinserhöhung macht ja genau das Gegenteil und das ist ein offensichtlicher Blödsinn.
 
Kommen wir zur Mietpreisbremse, bzw. dem Vorschlag der Bundesregierung, der aus unserer Sicht nicht ausreichend ist. Wie sehen Sie diesen Vorschlag der Regierung? Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Inflation in den kommenden Jahren wieder auf über 5 Prozent steigen wird?
 
Persönlich glaube ich eher, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, denn man hat mit der Holzhammer-Methode die Wirtschaft in eine Rezession getrieben. Als Holzhammer funktioniert die Methode, aber das ist keine spezifische Bekämpfung der Inflation und ich halte das für eine Augenauswischerei. Das wichtigste ist eine längerfristige Strategie. Um das Angebot an Wohnungen erhöhen, braucht es im großstädtischen Raum bei Grundstücken ein Vorkaufsrecht für sozialen und kommunalen Wohnbau. Angesichts der enormen Knappheit wäre es das Beste, dem sozialen Wohnbau für das zusätzliche Grundstücksangebot, das auf den Markt kommt, ein Vorkaufsrecht einzuräumen.
 
Eine Leerstandsabgabe wäre sicher vernünftig, die muss aber auch ein bisschen wehtun. Wenn geschätzt 90.000 Wohnungen in Wien leer stehen, dann ist das, etwas hart formuliert, sozial schädigendes Verhalten und muss etwas kosten. Alle Maßnahmen im Paket zumindest mit Teilen der Immobilien-Rentiers abzuklären, wäre der beste Weg.
 
Mieten sind an die Inflation gebunden. Gäbe es aus Ihrer Sicht ein anderes, vernünftigeres Modell?
 
Wir haben zwei Inflationsraten. Die eine wird jeden Monat erhoben und ist relativ unbestritten, das ist der Verbraucherpreisindex (VPI). Dessen Nachteil ist, dass die Preise importierter Güter drinnen sind und die Preise exportierter Güter nicht. Eigentlich müsste man die Inflation dessen, was Österreich produziert nehmen und nicht die Inflation dessen, was Österreich konsumiert. Da besteht in normalen Zeiten kein großer Unterschied, aber in den letzten drei Jahren war der Unterschied enorm. Der BIP-Deflator ist um mindestens 2 – 2,5 Prozent weniger stark gestiegen als der VPI, weil ein Großteil der Inflation importiert war. Wenn es darum geht, die Verteilkung der Produktionseinkommen zu stabilisieren, wäre der BIP-Deflator der bessere Maßstab für eine Indexierung der Mieten.
 
Wir haben eine Entwicklung des Kapitalismus in der die besitzenden Rentiers im Vergleich zu den unternehmenden Kapitalisten immer mehr begünstigt werden. Wir sind eine Rentier- Ökonomie geworden. Fossil-Rentiers haben Erdöl und ziehen den Profit raus. Immobilien-Rentiers haben Häuser und ziehen Profit aus diesem Vermögen.
 
Hohe Mietpreise bedeuten natürlich auch, dass viel Kapital gebunden ist. Wer hohe Miete zahlen muss plus hohe Energiekosten hat weniger Geld zu leben und damit auch weniger für den Konsum. Wie bewerten Sie die negative Auswirkung auf die Gesamtwirtschaft? Hat das auch Auswirkungen auf eine kommende Rezession?
 
Ja sicher, und dies ist nicht nur ein Problem in einer Rezession, also bei einem kurzfristigen Einbruch sondern auch im Hinblick auf das langfristige Wirtschaftswachstum. Die Geschichte zeigt uns zwei Typen von Kapitalismus: einen, bei dem die Unternehmer das Sagen haben und einen anderen, den die Rentiers, also die Besitzer von Finanzkapital, Immobilien und dergleichen dominieren.
 
Wer in den 1950er-, 1960er-, 1970er- Jahren in Österreich Profit machen wollte, musste in die Realwirtschaft gehen. In den letzten Jahrzehnten verlagerte sich das immer mehr zu den Vermögenden. Wenn die Mieten überdurchschnittlich steigen, dann werden den Haushalten, auch über die Zinsen, Einkommen entzogen, das sie für Konsum verwendet hätten. Und es wird jemandem zugesprochen, der das wiederum als Vermögen oder Finanzkapital akkumuliert. Das bedeutet schlicht und einfach eine Verstopfungserscheinung im Wirtschaftskreislauf. Jene, die Geld ausgegeben hätten, haben immer weniger, und jene, die es nicht ausgeben, kriegen immer mehr. Das muss man systemisch betrachten. Diese insgesamt verfehlte finanzkapitalistische Spielanordnung wird sich selbst zerstören - das ist in der Wirtschaftsgeschichte immer passiert. Selbstzerstörerischer Finanzkapitalismus ist leider mit sehr, sehr schwierigen Krisen verbunden, zuletzt die Weltwirtschaftskrise mit all ihren Folgen.
 
Danke für das Gespräch.
Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, Tel.: 050195, Fax: 050195-92000, zentrale@mietervereinigung.at, ZVR - Zahl 563290909
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