Österreich, Politik 26.03.2024
Im großen Fair-Wohnen-Interview spricht Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer Wien, mit MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler über die Teuerung, leistbares Wohnen und Wirtschaftspolitik.
Georg Niedermühlbichler: Österreich hat eine der höchsten Inflationsraten in Westeuropa. Warum?
Markus Marterbauer: Ich glaube, das Problem ist unterschätzt worden. Das ist bitter, weil Österreich im europäischen Vergleich bei Hochinflationsphasen in der Vergangenheit immer eine der niedrigsten Inflationsraten hatte. Jetzt gab es ideologische Probleme in die Märkte einzugreifen, andererseits hat man die Inflation verteilungspolitisch akzeptiert, weil die eigenen Interessengruppen davon profitiert haben, zum Teil die Energieversorger, aber auch die Vermieter von Wohnungen. Länder wie Spanien, die wirklich in Energie- und Nahrungsmittelpreise sowie in die Mieten eingegriffen haben, verzeichnen deutlich niedrigere Inflationsraten wie Österreich im Jahr 2023.
Warum ist die Inflation nicht für alle gleich?
Ein Grund ist, dass untere Einkommensgruppen für jene Ausgaben, die besonders teurer wurden wie Haushaltsenergie, Mieten und Nahrungsmittel mehr ausgeben. Bei den 10 Prozent mit dem geringsten Haushaltseinkommen entfällt etwa die Hälfte der Ausgaben auf diese 3 Kategorien. Bei den 10 Prozent mit dem höchsten Haushaltseinkommen entfällt nur ein Viertel der Ausgaben in diese Kategorien. Ein zweiter wichtiger Grund: Untere Einkommensgruppen konnten schon vor der Teuerungskrise nichts zurücklegen, weil sie einfach zu wenig verdient haben. Sie konnten daher auch nicht auf Ersparnisse zurückgreifen, sondern mussten in anderen Bereichen Ausgaben kürzen und sind damit in Armutsgefahr geraten. Die oberen Einkommensgruppen legen hingegen 40, 50 Prozent des laufenden Einkommens als Ersparnis zurück. Da gab es keinen Wohlstandsverlust, sondern es wurde einfach ein bisschen weniger gespart. Wir haben also ein riesiges Verteilungsproblem. Die Regierung hat, vor allem auf Druck des Sozialministers, versucht gegenzusteuern mit Einmalzahlungen, aber das war nicht ausreichend. Für den Kaufkrafterhalt haben die Gewerkschaften über die Kollektivvertragsabschlüsse gesorgt. Da hat sich bezahlt gemacht, dass die Gewerkschaften doch relativ stark sind, dass die Abdeckung mit Kollektivverträgen im Vergleich zu vielen anderen Ländern praktisch bei 100 Prozent ist.
Wobei die Gewerkschaft mittlerweile Lohnabschlüsse macht, die niedrigere Einkommen besser stellt.
Wir haben allerdings im unteren Bereich einige soziale Gruppen, die besonders stark verloren haben, da möchte ich die Arbeitslosen herausgreifen. Die Arbeitslosengelder werden am letzten Einkommen bemessen, das vielleicht schon 1-2 Jahre zurückliegt und bei 10-15 Prozent Inflation werden Einkommen von vor der Inflationsrate zugrunde gelegt. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind dadurch massiv entwertet worden. Das ist die am stärksten armutsgefährdete Gruppe, der jetzt sogar nach den Plänen des Bundeskanzlers das Arbeitslosengeld gekürzt werden soll.
In Ihrem Buch »Angst und Angstmacherei « möchten Sie gerne eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht. Was genau meinen Sie damit bzw. welche Wirtschaftspolitik macht Hoffnung?
Ich glaube, dass neoliberale Wirtschaftspolitik eine Politik der Angstmacherei ist. Man sagt Arbeitslosen: wenn ihr arbeitslos werdet, vor allem länger arbeitslos seid, werdet ihr nach und nach abrutschen – und man versucht sie dadurch zu drängen, einen schlechten Job anzunehmen, der ihnen langfristig viel Einkommen kostet. Man macht Niedriglohnbeschäftigten Angst: wenn ihr auf euren Rechten besteht, werdet ihr vielleicht arbeitslos, also seid lieber vorsichtig. Man macht Leuten mit befristeten Mietverträgen Angst: in zwei Jahren läuft dein Mietvertrag aus – wenn du auf deinen Mieterrechten bestehst, hast du dann vielleicht keine Wohnung mehr. Das ist eine Politik der Angstmacherei. Ich glaube, fortschrittliche Politik muss das Gegenteil leisten, nämlich den Menschen Hoffnung geben, Sicherheit verleihen. Wenn ich krank werde, kann ich mich auf ein gutes Gesundheitssystem verlassen. Wenn ich Probleme mit meinem Vermieter habe, kann ich mich an eine Interessensvertretung wenden, die mir hilft. Ich glaube, dass unser Sozialstaat darauf ausgerichtet war den Menschen Sicherheit und Hoffnung zu geben und damit ein Stück Freiheit zu schaffen. Was muss man jetzt tun, damit das gelingt? Man muss den Leuten signalisieren, dass sich die Politik um ihre Interessen kümmert und sieht wo es Probleme gibt. Wenn man den Menschen signalisiert, dass sie sich auf den Sozialstaat verlassen können, dann sind sie auch bereit diesen zu finanzieren. Außerdem müssen die Leute das Gefühl haben, dass es in unserer Gesellschaft gerecht zugeht. Man muss für Verteilungsgerechtigkeit sorgen: einerseits den Sozialstaat verbessern und andererseits ein Steuersystem schaffen, in dem Reiche endlich zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen – Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Millionärssteuern sind zentrale Elemente.
Die Mieten sind extrem gestiegen, wir haben schon zu Beginn der Teuerung eine Mietpreisbremse verlangt. Angenommen, die Bundesregierung wäre so vernünftig gewesen und hätte auf unsere Vorschläge gehört und wir hätten diese Mietpreisbremse und zwar auch für den freifinanzierten Bereich, wo es derzeit keine Deckelung gibt – was hätte das aus Ihrer Sicht für Auswirkungen auf die Inflationsmisere gehabt?
Die automatische Anpassung der Mieten ist ungerecht. Weil Gas teurer wurde und die Inflation steigt, steigen jetzt die Mieten. Für diesen Zusammenhang gibt es überhaupt keine ökonomische Begründung. Das ist eine Umverteilung zu den Vermietern. Man hätte das leicht bremsen können, indem man sagt, die Mieten dürfen die nächsten zwei Jahre nicht oder nur um 2 Prozent steigen. Dann wären die Mieten um ungefähr 15- 20 Prozent weniger stark gestiegen. Das wäre eine massive und ich glaube auch sehr zielgerichtete Entlastung gewesen. Der Mietendeckel der Bundesregierung hat kaum Effekt – wir rechnen auf die Inflationsrate 0,1 Prozent. Die Mietpreisbremse wäre ja nur ein kurzfristiges Pflaster auf der offenen Wunde gewesen. Wir brauchen ein Universalmietrecht, das alle Mieten einer vernünftigen Regulierung unterzieht. Das soll nicht heißen, dass Vermieter verarmen müssen, sondern sie sollen eine gerechte Miete verlangen können aber die Menschen müssen sich sicher sein, dass ihnen die Miete nicht über den Kopf wächst und dass Wohnen leistbar bleibt. Wohnen ist kein Gut wie jedes andere. Wenn die Fernreise teurer wird, dann wird man auf die Fernreise verzichten können. Man kann aber nicht sagen ich ziehe aus der Wohnung aus, weil ich mir die Miete nicht leisten kann. Wohin denn? Es reicht nicht nur die Mieten zu regulieren, man muss für ausreichend viele leistbare Wohnungen sorgen, dass von gemeinnützigen und kommunalen Bauträgern ausreichend gebaut wird. Das wäre der zweite Pfeiler leistbaren Wohnens.
Die ÖVP möchte die Eigentumsquote erhöhen. Man fragt sich, wie sich ein junger Mensch derzeit Eigentum überhaupt leisten kann. Glauben Sie, ist das ein richtiges Signal?
Die Leute wollen gute Wohnqualität zu leistbaren Bedingungen. Für die meisten Leute ist nicht entscheidend ob das Miete oder Eigentum ist. In den Städten, zum Beispiel in Wien, haben wir mehr als 80 Prozent Mietquote. Wir haben aber enorm hohe Qualität im Wohnsystem. Im genossenschaftlichen Wohnbau hat man die höchste Wohnqualität Europas. Am Land schaut das allerdings ganz anders aus. Dort haben wir sehr hohe Eigentumsquoten, aber eine ganz neue Situation, nämlich dass die Leute sich das »Häuslbauen« gar nicht mehr leisten können. Mit billigeren Krediten treibt man die Leute in eine Verschuldung, denn irgendwann können sie den Kredit nicht mehr zurückzahlen, wenn die Zinsen nach oben schnellen und stehen dann vor dem Nichts. Ich glaube, dass das Modell des mehrgeschossigen geförderten Wohnbaus auch für das Dorf relevant ist. Es wäre eine Stärkung der aussterbenden Dorfzentren. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das eine Mischung aus Miet- und Eigentumswohnungen sein kann. Die Leute sollen das bekommen, was sie haben wollen, aber es soll leistbar sein – das ist der zentrale Punkt.
Wohnen im mehrgeschossigen Wohnbau ist auch klimaschonender.
Ein wichtiger Punkt. Einfamilienhäuser am Land sind nicht nur finanziell sondern auch ökologisch nicht mehr leistbar. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist der mehrgeschossige Wohnbau im Dorfzentrum viel vernünftiger.
Den klassischen Vermieter von früher mit ein oder zwei Zinshäusern gibt es immer seltener, weil alles von Investoren aufgekauft wird. Wie stark führt das zu einer Vermögensverschiebung von Arm zu Reich?
Das ist tatsächlich eine riesige Gefahr für das österreichische Wohnsystem angesichts des enormen Zustroms von internationalem Kapital. In Deutschland investieren große internationale Kapitalanlagegesellschaften und treiben die Mieten nach oben, weil die den Eigentümern versprochenen Renditen erwirtschaftet werden müssen. In London ist abgesehen von den Gemeindewohnungen das Leben im Stadtzentrum nicht mehr leistbar weil alles irgendwelchen riesigen Anlagegesellschaften gehört. Das hat in den letzten 10 Jahren auch in den österreichischen Städten langsam begonnen – aber wir wären rechtzeitig dran, das zu verhindern.
Die Umverteilung verläuft von den Mietern zu den Kapitaleignern. Das ist ein Verteilungsproblem. Wie kann man dem begegnen? Erstens durch eine Mietenregulierung, dann sinkt die Attraktivität für Kapitalanlagegesellschaften. Das ist bei uns praktisch nicht mehr der Fall: im freifinanzierten Bereich gibt es keine Mietenregulierung. Ein Universalmietrecht würde auch diesen Bereich regulieren. Das Ziel der Wohnungspolitik muss sein, leistbares Wohnen bereitzustellen und nicht, dass die ohnehin reichen Kapitalanleger möglichst hohe Renditen haben. Zweitens gilt es, die Befristungen wegzubringen. Ein Verbot von Befristungen richtet sich ja nicht gegen den einen, der eine Wohnung später für die Kinder haben will und deswegen befristet vermietet. Es richtet sich gegen die großen Kapitalanlagegesellschaften, die ihren Profit daraus machen.
Die Anzahl der Vermietenden wird in Österreich nicht erhoben. Für uns ist das unverständlich - in einem Land, wo Bürokratie total gelebt wird. Fehlen auf der vermögenden Seite der Gesellschaft Daten und wenn ja, welche Daten sollten erhoben werden?
Der ehemalige Finanzminister Ferdinand Lacina hat einmal gesagt: in Österreich kennt man jeden Zwetschkenbaum in der Statistik Austria aber weiß nichts über die Verteilung des Vermögens – und genauso ist es. Wir erheben jede Menge Daten, die gar nicht notwendig wären, aber dort wo es ökonomisch und sozial relevant ist, weiß man wenig. Zur Vermögensverteilung haben wir nur eine Quelle und das ist eine Befragung der Österreichischen Nationalbank von 3.000 Haushalten, die dann hochgerechnet werden. Dort zeigt sich, dass das reichste Prozent, die reichsten 40.000 Haushalte, zwischen 40 und 50 Prozent des gesamten Vermögens aller privaten Haushalte besitzen. Dort gibt es auch gewisse Hinweise, dass Besitzer von Wohnungen, die vermietet werden, praktisch dem oberen Zehntel angehören, aber dort müssten mehr Daten erhoben werden.
Das Problem ist, dass wir keine Erfassung von Vermögen haben. Die Länder, in denen man weiß wie die Vermögensverteilung aussieht, sind jene, die Vermögens- und Erbschaftssteuern haben. Dort stellt sich heraus, dass Vermögen und Erbschaften bei den obersten 1-2 Prozent konzentriert sind. Niemand wird ökonomisch an einer Vermögenssteuer zugrunde gehen. Dann hätte man aber wirklich gute Daten. Vermögenssteuern hätten natürlich viele Vorteile, nicht zuletzt vielleicht, dass bei der Einkommenssteuer schlussendlich weniger zu zahlen wäre.
Danke für das Gespräch.