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Österreich, Politik 18.09.2014

FairWohnen im Gespräch über Armutsbekämpfung und Mietrechtsreform "Was wir uns leisten wollen"

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Das Interview erschien im FairWohnen Magazin 02/2014 der MVÖ. Fragensteller ist unser Präsident Georg Niedermühlbichler (rot) auf den Herr Landau Präsident der Caritas Österreich antwortet.

Herzlichen Dank Herr Landau und dem Protokollführer Jürgen Zacharias.

 

Herr Landau, Sie sind seit rund einem halben Jahr Präsident der Caritas Österreich. Haben Sie sich an Ihr neues Amt bereits gewöhnt?

Die Caritas-Verantwortung ist vermutlich eine der schönsten Aufgaben, die man in Österreich übernehmen kann. Ich bin zwar bereits seit 1995 Leiter der Caritas Wien, mit meiner neuen Sprecherfunktion sehe ich nun aber auch über die Grenzen unseres Landes hinaus und bemerke dabei zunehmend, dass es in Österreich einen guten Grundwasserspiegel an Solidarität gibt. Nichtsdestotrotz müssen wir alle gemeinsam an einem noch faireren und menschlicheren Österreich arbeiten, und das sehe ich als sehr reizvolle und schöne Aufgabe.

 

Zur Person: Michael Landau wurde am 23. Mai 1960 in Wien geboren und begann 1978 ein Studium der Biochemie, das er 1988 mit dem Doktorat abschloss. Schon zwei Jahre zuvor trat Landau in das Priesterseminar ein und begann ein Studium der Philosophie und Katholischen Theologie. 1992 wurde er zum Priester geweiht und 1995 übernahm er von Helmut Schüller die Leitung der Caritas Wien. Seit November 2013 ist er nun als Nachfolger von Franz Küberl Präsident der Caritas Österreich.

 

Dabei ist Ihnen Armutsbekämpfung ein besonders großes Anliegen – sehen Sie darin auch die oberste Priorität der Caritas?

Oberste Priorität haben immer die konkreten Menschen. Jeder soll unabhängig von seiner Herkunft und Nationalität und unabhängig von religiösen und persönlichen Überzeugungen sowie vom Geschlecht ein Leben in Würde und Sicherheit führen können. Dabei sind Armutsvermeidung und Armutsbekämpfung aber ganz zentrale Anliegen, und das sowohl national als auch international. Europa ist heute sehr präzise, was die wirtschaftlichen Vorgaben eines Integrationsprozesses betrifft, aber sehr viel weniger präzise, was entsprechende soziale Vorgaben betrifft. Es braucht aber auch eine Sozial- und Solidaritätsunion, um besser miteinander leben zu können.


Gerade in Zeiten steigender Preise und einer weiter grassierenden Wirtschafts- und Finanzkrise verpuffen Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Solidarität aber oft ungehört.

Das sollten sie aber nicht. Armutsbekämpfung ist aus christlichen und humanistischen Motiven heraus wichtig, es gibt aber auch ganz egoistische Gründe, Armut zu bekämpfen: Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich wird nämlich auch für Reiche zu einem Problem, wenn diese in verschlossenen und mit Stacheldraht abgesicherten Wohnvierteln leben müssen, um ihr Eigentum und ihren Status zu schützen.

 

Sie haben dahingehend die Aussage geprägt, dass „Wohlstandsinseln in einem Meer von Armut auf Dauer nicht stabil sind“. Was meinen Sie damit konkret? E

ine gespaltene Gesellschaft birgt für beide Seiten Gefahren, weil große Ungleichheiten zwangsläufig zu Unsicherheiten führen. Das gilt auch für Regionen und Länder, die an ihren Grenzen Zäune und Mauern hochziehen und sich in scheinbar uneinnehmbare Festungen verwandeln. Aber diese Idee hat noch nie funktioniert und ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

 

Weil Festungen zwangsläufig fallen werden?

Das lehrt uns jedenfalls die Geschichte. Wer die Donau entlangfährt, sieht an beiden Ufern einst als uneinnehmbar geltende Festungen, die heute nur mehr Ruinen sind. Der Versuch, Europa in eine Wohlstandsfestung zu verwandeln, wird irgendwann wohl ähnlich scheitern. Daher sollten wir nicht in Zäune und Wälle investieren, sondern in Begegnungsorte und Brücken, weil es uns letztlich nur dann gut geht, wenn es uns miteinander gut geht.

 

Viele Menschen verweigern sich diesem sozialen Ansatz aber, weil sie viel zu verlieren haben und ihren Status in Gefahr sehen. Wie kann man auch diese Menschen von einem gerechteren Weg des Miteinanders überzeugen?

Indem wir ihnen zuallererst klar machen, dass mehr Miteinander nicht mit tief greifenden persönlichen Einschränkungen verbunden sein muss. Im Gegenteil, es ist genug für alle da, die Behauptung dass es kein Geld gäbe, stimmt nicht, wie das im vergangenen Jahr auch Heiner Geißler eindrucksvoll untermauert hat. Er meinte, dass es Geld wie Dreck gibt, es aber die falschen Leute haben würden.

 

Gerechter verteilt wäre also genug für alle da?

Die Frage ist nicht zuerst, was wir uns leisten können, sondern was wir uns leisten wollen und diese Diskussion über die Prioritäten zu führen, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben der Politik – auch in Österreich, vielmehr aber noch in vielen anderen Ländern und auch in der Europäischen Union.

 

Funktioniert die Verteilungsgerechtigkeit in Österreich besser als anderswo?

Das denke ich schon, der Sozialstaat hat sich gerade auch in der aktuellen Krise gut bewährt. Nichtsdestotrotz müssen wir ihn für die Zukunft weiter stärken. Das ist mit Kosten verbunden, aber diese Kosten können wir uns leisten – was wir uns nicht leisten können, ist auf den Sozialstaat zu verzichten.

 

Was sagen Sie jenen Menschen, die meinen, es wäre viel wichtiger, in anderen Ländern etwa der Dritten Welt oder im Osten Europas vermehrt an ganz grundsätzlichen Bedürfnissen zu arbeiten, als hierzulande noch mehr Sozialstaat zu fordern?

Wir dürfen die eine Not nicht gegen eine andere ausspielen. Die Schwerpunktarbeit der Caritas ist die stille alltägliche Arbeit für Menschen in Not, und dazu gehören viele Dinge, die für ein gutes Zusammenleben hierzulande wichtig sind, schlussendlich aber auch den Menschen in anderen Ländern die gleichen Möglichkeiten und Chancen eröffnen sollen, wie wir sie haben.
Für eine gute Zukunft brauchen wir also ein Miteinander aus all diesen Bereichen und Bemühungen. Nur so können wir den Weg bewältigen, auch wenn er steiler wird.

 

Wird der Weg irgendwann auch ein Ende haben, oder geht es nur darum, ihn möglichst bergab zu führen oder zumindest nicht zu steil bergauf?

Dabei möchte ich auf ein Schriftwort im Buch Deuteronomium im Alten Testament verweisen, in dem es auf einer Seite zuerst heißt, dass es unter euch keine Armen geben soll. Und wenig später heißt es dann, Arme werdet ihr immer haben. Die Caritas ist so gesehen eine Organisation, die nicht froh darüber ist, wenn sie wächst, weil das Ausdruck einer vorhandenen Not ist. Zugleich machen wir uns aber dafür stark, die Not abzuschaffen, soweit das nur geht.


Inwiefern schließt Armutsbekämpfung auch das Thema Wohnen mit ein?

Wohnen ist für jeden Mensch ein Grundbedürfnis, für das viele Menschen aber bereits mehr als die Hälfte ihres Einkommens aufwenden müssen. Wenn dann etwas Unvorhergesehenes eintritt wie eine Erkrankung oder der Verlust des Arbeitsplatzes, ist der Schritt in die Obdachlosigkeit immer öfter sehr kurz.


Hat sich diese Problematik in den vergangenen Jahren verschärft? Überteuerte Mieten, undurchschaubare Zuschlagsysteme und hohe Eigenmittelanteile bekommen zunehmend nicht nur die Menschen am Rande der Gesellschaft zu spüren, sondern längst auch die breite Mitte. Wir fordern als Caritas daher ein Recht auf leistbares Wohnen und auf leistbaren Wohnraum für alle Menschen.


Mit welchen Maßnahmen könnte diese Forderung erreicht werden? Da drängen sich einige auf. Der wohl wichtigste Punkt betrifft die Grundhaltung, und da gibt es auch in Österreich Nachholbedarf. Österreich hat etwa bei den Artikeln 30 und 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta, bei denen es um das Recht auf Schutz vor Armut und das Recht auf Wohnen geht, einen Vorbehalt angemeldet.

 

Wichtig wäre es, diese Artikel auch bei uns zu ratifizieren, um das Recht auf Wohnen auch hierzulande zu verankern?

Genau. Darüber hinaus werden in Zukunft auch mehr Mittel für den sozialen Wohnbau und für eigenmittelfreie Wohnungen notwendig sein, und wir erwarten eine Mietrechtsreform, die auch den Bereich der oft undurchschaubaren Zu- und Abschläge umfassen muss. Zudem sollte es bei der Wohnbauförderung eine Gleichstellung der Migranten geben, wichtig wäre auch ein flächendeckender Ausbau der Delogierungsprävention.


Welchen Wunsch haben Sie abschließend an unsere Leserinnen und Leser?

Wir können fast alles ändern, wenn wir es ändern wollen, aber dazu braucht es Menschen wie Ihre Leser, die ihre Augen öffnen und schauen, wie es den Menschen in ihrer Nähe geht und wo es Menschen gibt, die ihre Hilfe brauchen. Nur so kann das Miteinander in Österreich, aber auch in der ganzen Welt, gerechter werden – und das muss schlussendlich das Ziel sein.

 

Danke Michael Landau für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen!

Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, Tel.: 050195, Fax: 050195-92000, zentrale@mietervereinigung.at, ZVR - Zahl 563290909
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