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Österreich, Politik, Wien 15.03.2018

Aus für Gründerzeitviertel?

  • Gründerzeitviertel; Foto: daskleineatelier/stock.adobe.com

Die neue Regierung plant wesentliche Änderungen im bestehenden Mietrecht. Die gewichtigste versteckt sich hinter einem im Regierungsprogramm »Aufhebung des Verbots des Lagezuschlages in Gründerzeitvierteln« genannten Punkt. Die sperrige Formulierung bedeutet im Klartext: Mieter sollen künftig auch in bisher günstigeren Lagen Wiens um bis zu 60 Prozent mehr zahlen. Betroffen wären etwa 100.000 Wohnungen. Darüber hinaus würde der Preisanstieg weite Teile der Stadt erfassen.

 

Richtwert und Lagezuschlag

 

Der Hintergrund: Seit 1994 gilt in ganz Österreich bei Neuvermietungen von (nicht geförderten oder gemeinnützigen) Altbauwohnungen das Richtwertgesetz. Darin wird eine »Normwohnung« definiert, für die eine bestimmte Miete – eben der Richtwert – verlangt werden darf. Für jedes Bundesland gilt ein eigener Richtwert, der laufend mit dem Verbraucherpreisindex valorisiert wird. In Wien beträgt er aktuell 5,58 Euro pro Quadratmeter. Davon ausgehend können je nach Ausstattung und Lage der Wohnung Zu- oder Abschläge verrechnet werden. Für eine »überdurchschnittlich« gute Lage gibt es einen Lagezuschlag. Für sogenannte Gründerzeitviertel ist derzeit kein Lagezuschlag zulässig – sie gelten im Gesetz als »höchstens durchschnittliche« Lage. Was aber ist ein Gründerzeitviertel?

 

Gründerzeit in Wien

 

In Wien begann die Gründerzeit mit dem Fall der Stadtmauer 1850 und endete mit den ersten Mietrechtsgesetzen 1917, wie Historiker Gerhard Halusa im Interview erklärt. Die Bevölkerung der Metropole der Monarchie wuchs enorm und stieg von 726.000 im Jahr 1880 auf 2,2 Millionen im Jahr 1910 an. Wohnraum war knapp und der Bau von Zinshäusern ein einträgliches Geschäft. Um den Profit zu maximieren, galt es, möglichst viele Mieter auf wenig Raum unterzubringen. So entstanden Mietskasernen mit kleinen Zimmer-Küche-Wohnungen. Während die Bauherren an der straßenseitigen Fassade Zierelemente anbringen ließen, um das Haus nach dem damaligen bürgerlichen Geschmack möglichst herrschaftlich wirken zu lassen, verzichteten sie im Inneren auf Komfort. Fließendes Wasser oder Toiletten gab es nur am Gang. Errichtet wurden die Bauten meist dort, wo der Grund billig und die nächste Fabrik nicht weit war – in den zu dieser Zeit ländlich geprägten und frisch eingemeindeten Vororten außerhalb des Linienwalls (des heutigen Gürtels).

 

Gründerzeitviertel

 

Die damals eilig aufgezogenen Viertel prägen heute noch weite Teile Wiens:

Lage der Gründerzeitviertel in Wien

In Wien liegen die Gründerzeitviertel (rot) vor allem entlang des Gürtels sowie im 2., 3., 5., 10., 11., 20. und 21. Bezirk.

Lage der Gründerzeitviertel in Wien; Grafik: MVÖ

 

Weil viele Wohnungen dürftig ausgestattet waren, blieben die Mieten im innerstädtischen Vergleich preiswert und ermöglichten einkommensschwächeren Haushalten wie jungen Familien, Einwanderern und Pensionisten, relativ nah am Zentrum zu wohnen. Um leistbaren Wohnraum für diese Haushalte zu sichern, wurden die Gründerzeitviertel bei der Einführung des Richtwertgesetzes vom Lagezuschlag ausgenommen als »Gebiet mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet worden ist und zum Zeitpunkt der Errichtung [...] zu mehr als 50% kleine und mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufgewiesen hat«. Wo sich diese Gebiete in Wien befinden, ist in einem eigenen Verzeichnis der Magistratsabteilung Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser (MA 25) ersichtlich.

 

VfGH bestätigte Verbot

 

Weil das Lagezuschlagsverbot Zinshausbesitzern schon lange ein Dorn im Auge ist, ging eine Gruppe von Vermietern dagegen bis vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Der VfGH lehnte die Beschwerde jedoch ab und hob die sozialpolitische Bedeutung der Gründerzeitviertel hervor. »Bei der Regelung des Mietrechts […] kommt dem Ziel, Wohnen in zentrumsnaher städtischer Lage zu Preisen zu ermöglichen, die es auch Personen mit mittlerem und niedrigem Einkommen erlauben, ihren Wohnbedarf in dieser Lage angemessen zu decken, besonderes Gewicht zu«, lautet die deutliche Erkenntnis vom Oktober 2016.

 

Mieten schlagartig teurer

 

Der klaren VfGH-Entscheidung zum Trotz hat die Regierung nun offenbar vor, einen Lagezuschlag in Gründerzeitvierteln zu ermöglichen. Dabei ist gerade der Lagezuschlag der Hauptpreistreiber im System der Richtwertmieten (siehe Grafik).

Lagezuschlag explodiert

Entwicklung der Lagezuschläge in Wien; Grafik: MVÖ

Die Stadt Wien veröffentlicht regelmäßig eine Lagezuschlagskarte. Während sich die Werte von 1995 bis 2012 kaum änderten, sind die Zuschläge in den letzten 5 Jahren um bis zu 215% gestiegen. Je nach Lage der Wohnung können aktuell folgende Maximalbeträge zum Richtwertmietzins hinzugerechnet werden:

  • Innere Stadt: 10,93 €/m²
  • Teile der Bezirke 3, 4, 6-9: 4,16 €/m²
  • Teile der Bezirke 2-9, 13, 18, 19, 22: 3,34 €/m²
  • Teile der Bezirke 2, 4-8, 13, 14-19: 2,18 €/m²
  • Teile der Bezirke 2, 3, 12, 14-17, 20-23: 1,36 €/m²
  • Teile der Bezirke 2, 3, 10, 11, 12, 21-23: 0,53 €/m²

 

 

Bemerkenswert an diesem System ist, dass Vermieter davon profitieren, dass Leistungen der Gemeinde Wien Lagen attraktiv machen, etwa durch U-Bahnen, Kindergärten, Parks oder Schulen. Mieter zahlen auf diese Weise praktisch doppelt: Zuerst finanzieren sie mit ihrem Steuergeld öffentliche Infrastruktur und anschließend zahlen sie eine höhere Miete, weil ebendiese Infrastruktur vorliegt.

 

Plus 3,34 €/m²

 

Geht es nach den Plänen der Regierung, wären bei Neuvermietungen in gürtelnahen Gründerzeitvierteln mit einem Schlag zwischen 1,36 und 3,34 Euro/Quadratmeter mehr Nettomiete zu bezahlen. Für viele Wiener würden diese Mehrkosten bedeuten, nicht mehr zentrumsnah wohnen zu können.

 

Ein Beispiel: Eine Familie wohnt in einem Gründerzeit-Altbau in Wien-Währing. Der reine Richtwert-Mietzins für die befristete 90-Quadratmeter-Wohnung beträgt derzeit 498 Euro inklusive Steuer. Setzt die Regierung ihren Plan um, dann drohen der Familie bei einer Verlängerung des Vertrages Mehrkosten von bis zu 248 Euro im Monat - im Jahr also mehr als 2.970 Euro! Obwohl sich weder Ausstattung noch Lage der Wohnung geändert haben, würde sich der Mietzins praktisch über Nacht drastisch erhöhen.

 

100.000 Wohnungen betroffen

 

In Wien liegen rund 100.000 Wohnungen in Gründerzeitvierteln. Ein Lagezuschlag wäre zwar nur bei neuen Mietverträgen zulässig, aber Monat für Monat würde die Zahl der Mieter, die mehr zahlen müssen, wachsen. Denn: Zwei von drei neuen privaten Mietverträgen sind befristet, im Schnitt auf fünf Jahre. Wird eine Befristung verlängert, gibt es auch einen neuen Mietvertrag – mit Lagezuschlag.

 

Preisspirale

 

Eine Erhöhung der Mieten in Gründerzeitvierteln setze eine Preisspirale in Gang, die auch auf andere Viertel in Wien übergreifen werde, erklärt Elke Hanel-Torsch, Vorsitzende der Mietervereinigung Wien: »Die Mieten würden überall steigen.«

Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, Tel.: 050195, Fax: 050195-92000, zentrale@mietervereinigung.at, ZVR - Zahl 563290909
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